13.05.2004

Noch ein Deutscher, der Troja entdeckt hat

Troja

Troja Homers "Ilias" im Zeitalter des Blockbuster-Kinos. Und im Zeitalter der unbegrenzten tricktechnischen Möglichkeiten. Beides zusammen rief diese Verfilmung geradezu herbei, der man die Kinokassen-Vollkasko-Mentalität zwar jederzeit anmerkt, die ihrer berühmten Vorlage aber trotz radikaler Verknappung gerecht wird. Indem die Geschichte der freiwilligen Entführung der Griechin Helena durch den trojanischen Jüngling Paris und alle Folgen nacherzählt wird, wobei Liebe und Kriegsstrategien einen perfekt hervorgehobenen Kontrast bilden, schimmert eines auf äußerst durchdachte Weise durch: verklausulierte Kritik des "alten Europäers" Wolfgang Petersen an der jüngsten Weltpolitik ausgerechnet in einem US-amerikanischen Film.

"Ich habe schon vor Jahren gedacht, es könne nicht mehr schlimmer werden. Aber es wird sogar immer schneller immer schlimmer. Ein Hollywood-Film kostet heute im Durchschnitt 100 Millionen Dollar. Das ist Wahnsinn! Ich sehe es ja an meinen eigenen US-Filmen...". Dies bemerkte Wolfgang Petersen in einem SPIEGEL-Interview, sprach's und präsentierte sein 200-Millionen-Dollar-Action-Spektakel "Troja".

Troja Ein Werk für das Mainstream-Kino, das sich vor allem eine Kritik gefallen lassen muss: So kurz nach der "Herr der Ringe"-Trilogie springt Petersen auf jenen Erfolgszug epischer Großerzählungen mit gigantomanen Schlachten auf. Und macht doch in seiner Leinwand-Interpretation von Homers "Ilias" ansonsten nahezu alles richtig. Petersen ist ein alter Meister auf dem Regie-Stuhl, und dies zeigt er auch hier. Solche Monumentalstoffe liegen ihm, die gibt er nicht aus der Hand wie die Trojaner Troja, ihm gelingt es, der "Ilias" ihre zeitlose Aktualität angemessen wiederzugeben.

Petersen verknappt seine antike Vorlage im Film kompromisslos. Er verzichtet halbwegs sinnvoll auf Erwähnung sämtlicher Götter- und Halbgötter-Titel, die Figuren stellt er als Menschen dar. Ein Tribut an eine realistisch gehaltene Erzählstrategie, die man als Distanzierung zur Mythologisierung mancher Protagonisten in den "Der Herr der Ringe"-Filmen verstehen darf. Im Verlauf des Films "Troja" sollen die Helden aus sich selbst heraus Charisma gewinnen; es gelingt mit Abstrichen. Petersen verzichtet des Weiteren sehr sinnvoll auf das ohnehin aus der Legende bekannte Ausgangsereignis, die Entscheidung des Paris, welche Griechin die Schönste sei.

Troja Im Film befindet sich Paris (Orlando Bloom) bereits in medias res im heimlichen Liebesspiel mit Helena (Diane Kruger), während Griechen und Trojaner ein Versöhnungsfest feiern. Helena als Gattin des Menelaos folgt ihrem Herzen und als blinde Passagierin Paris nach Troja. Ein abruptes Ende jeder diplomatischen Annäherung für die Griechen ist dies, König Agamemnon (Brian Cox) will vorgeblich seinen Bruder Menelaos rächen, aber es ist ersichtlich, dass er dies nur als Vorwand für Expansionspläne nutzt. Troja ist angeblich uneinnehmbar - auf der anderen Seite ist Agamemnons bester Soldat Achilles (Brad Pitt) angeblich unbesiegbar. Blut fließt fürs Imperium, das mit ganzer Macht zurückschlägt. Es fehlen regelrecht die Friedensaktivisten unserer Zeit: Jene, die in diesem Fall das Motto "kein Blut für Macht" auf ihr Banner heben würden. "Make love, not war": Dafür gibt es im Film Paris. Der um seine Liebe kämpfen will. Und dies unterschätzt. Sich gerade noch rettet. Anders gesagt: Er rettet sich in seine Feigheit. Aber er rettet sein Leben.

So wie es im Film Achilles gibt. Seinen Gegner im Zweikampf, ausgerechnet. Denn Achilles, den Mutigen, verbindet mit Paris, sich in eine Frau aus dem jeweiligen Lager des Feindes zu verlieben. Er ist charakterisiert als ein Pop-Star, aufgemacht als ein David Beckham der antiken Krieger, der von allen um seine Intelligenz und Kampfkraft scheinbar ohne Achillesferse verehrt, von Frauen außerdem auf Grund seines Sex-Appeals imklusive braun gebrannter Muskelpakete vergöttert wird. Ein strahlender Held also? Mitnichten: Achilles kämpft nur um seines eigenen Ruhmes willen, er verachtet seinen Herrn Agamemnon, da er ihn durchschaut. Ein denkwürdig in Szene gesetzter Dialog mit Achilles' Mutter, der Göttin Thetis (in einem Gastauftritt: Julie Christie) weist die Fallunterscheidung auf: Er kann ein langes Leben in Griechenland führen, oder aber, orakelt sie, er stirbt im Kampf, bleibt jedoch für seine Heldentaten Jahrtausende in Erinnerung. Wie Petersen und Brad Pitt daraus einen Gewinn für den Film ziehen, indem Achilles geradezu gelangweilt auf aventiure geht, um es in der Sprache mittelalterlicher Ritterepen zu sagen, ist bemerkenswert. Petersen konterkariert somit jeden nach unten hin aufoktroyierten Kriegswillen aus der Chefetage einer Streitmacht, denn das Innenleben eines einzelnen, auf Befehle angewiesenen Soldaten sieht anders aus.

Jeweils wenige Wochen nach dem Kinostart von "Troja" startete sowohl in den USA als auch in Deutschland Roland Emmerichs Großwetterlagen-Katastrophenfilm "The Day after tomorrow" in den Kinos. Ausgerechnet also zwei "alte Europäer", die beiden deutschen Regisseure Petersen und Emmerich mischen im Kino-Sommer 2004 den Blockbustermarkt auf und sparen dabei gleichermaßen nicht an Kritik an der Politik der USA, denn Emmerichs Film weist auf die Nichtunterzeichnung des Kyoto-Protokolls durch die USA hin. Emmerich schildert die Konsequenzen aus der Nichtbeachtung des Klimaschutzes in drastischer Form. Bedauerlich lediglich, dass dafür weitere Male jeweils die übliche allzu subtile Blockbuster-Erzählweise herhalten muss. Sind bei Petersen die Figuren Achilles und Paris einigermaßen nuanciert charakterisiert, kommen Agamemnon und Menelaos über eine die Elemente eines eindimensionalen Comics bedienende Darstellung als stets finster dreinblickende Schurken nicht hinaus.

Troja "Troja" gönnt uns immerhin eine hintergründige Art Humor: Wolfgang Petersen auf Heinrich Schliemanns Spuren ist ein weiterer Deutscher, der Troja entdeckt, diesmal für das Kino, das Mainstream-Kino. Was die "Der Herr der Ringe"-Trilogie und zuvor "Gladiator" als die Wiederauferstehung der Sandalen-Epen losgetreten haben, bleibt uns vorerst erhalten: Oliver Stone will die Schlachten Alexanders des Großen auf die Leinwand bringen, Ridley Scott soll mit dem Leben des antiken Hannibal folgen, George Clooney hat vor, die Schlacht bei den Thermopylen zu verfilmen. Den Auftakt bildete Mitte August die Jerry-Bruckheimer-Produktion "King Arthur".  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5)

Quelle der Fotos: Warner Bros.


Filmdaten

Troja
(Troy)

USA 2004
Regie: Wolfgang Petersen; Drehbuch: David Benioff frei nach der "Ilias" von Homer; Produktion: Wolfgang Petersen, Diana Rathbun, Colin Wilson; Ausführende Produzentin: Barbara Huber; Co-Produzent: Winston Azzopardi; Kamera: Roger Pratt; Musik: James Horner;
Darsteller: Brad Pitt (Achilles), Eric Bana ("Chopper", "Hulk"; Hektor), Orlando Bloom ("Der Herr der Ringe"-Filme, zuletzt: "Fluch der Karibik"; Paris), Diane Kruger (Helena), Brian Cox (Agamemnon), Sean Bean ("James Bond 007 - GoldenEye", "Der Herr der Ringe - Die Gefährten"; Odysseus), Brendan Gleeson ("Braveheart", "The Butcher Boy - Der Schlächterbursche"; Menelaos), Peter O’Toole (Priamos), Rose Byrne (Briseis), Saffron Burrows ("Im Namen des Vaters"; Andromache), Julie Christie (Thetis), Garrett Hedlund (Patroclus), Julian Glover ("Indiana Jones und der letzte Kreuzzug", "James Bond 007 - In tödlicher Mission"; Triopas), John Shrapnel (Nestor), Siri Svegler (Polydora), James Cosmo (Glaucus), Nigel Terry (Archeptolemus), Vincent Regan (Eudorus), Tyler Mane (Ajax), Frankie Fitzgerald (Aeneas), Owain Yeoman u.a.

Länge: 162 Minuten; FSK: ab 12 Jahren, Kinder ab 6 Jahren in Begleitung ihrer Eltern; ein Film im Verleih von Warner Bros.



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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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