01.09.2020

Gelungene Parodie auf den klassischen Film Noir

Tote tragen keine Karos

Unwetter, peitschender Regen, Blitze und Donner, untermalt von spannungsvoller Musik wie in den Filmen aus Hollywoods schwarzer Serie der 1940er und 1950er Jahre, ein Auto rast durch die Nacht, stürzt in einen Abgrund... dann in Großaufnahme die Schlagzeile im Los Angeles Express: "John Hay Forrest Killed in Accident". Der berühmte Wissenschaftler und Käsefabrikant ist tot! Dann taucht seine bildschöne Tochter Juliet (Rachel Ward) im Büro des nicht gerade überbeschäftigten Detektivs Rigby Reardon (Steve Martin) auf und bittet ihn um Aufklärung des Falls. War es ein Unfall oder Mord? Mit diesem typischen Krimi-Intro beginnt eine der schönsten amerikanischen Filmkomödien der letzten fünfzig Jahre.

Das Besondere an diesem Film ist nicht die ziemlich abstruse Handlung. Es geht da um eine Bande von Altnazis, die mit Hilfe von überreifem Schimmelkäse (!) die Welt erobern wollen. Immer wieder tauchen zwei ominöse Listen auf mit "Freunden Carlottas" und "Feinden Carlottas", und was hat es mit dem Schiff namens "Immer Essen" auf sich? Rigby klärt den Fall und bekommt am Ende seine Juliet. Nein, der Trick an dieser Geschichte ist der geniale Grundgedanke des Drehbuchautors und Regisseurs Carl Reiner. Er hat nämlich zahlreiche Originalszenen aus alten Hollywoodstreifen in seinen eigenen Film hineinmontiert, und das funktioniert unglaublich gut. So begegnen wir etwa Humphrey Bogart, Ingrid Bergman, Burt Lancaster, Lana Turner, Kirk Douglas, Ava Gardner, James Cagney, Joan Crawford und vielen mehr. Sie alle "spielen mit" in der neuen Handlung. Wenn Rigby mit einer dieser Personen spricht und man sein Gesicht sieht, steht im Vordergrund ein Komparse, von dem man nur die Rückseite erkennt. Die Dialoge passen immer genau zu der Handlung. Die ist natürlich ein bisschen absurd und verwickelt, aber das ist sie in manch altem Krimi ja auch. So hat selbst der Regisseur Howards Hawks zugegeben, dass er in seinem Film "Tote schlafen fest" ("The Big Sleep", 1946, nach Raymond Chandler) die Geschichte nicht ganz verstehe. Aus "Tote schlafen fest" gibt es auch einige Szenen in Reiners Film. Humphrey Bogart spielt wie gehabt den Detektiv Philip Marlowe, der hier ein Assistent von Rigby ist!

Die Verknüpfung von neuem mit altem Material geschieht mit einer solchen Perfektion, Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, dass man immer wieder applaudieren möchte. Aus diesem Verfahren bezieht der Film natürlich ein Großteil seines Witzes. Darüber hinaus ist er aber auch komisch wegen der vielen pfiffigen Dialoge und Gags. So sagt Charles Laughton (in einer Szene aus "Geheimaktion Carlotta", 1949) „Wissen Sie, wer ich sein könnte?“ und Rigby fragt zurück: "Der Glöckner von Notre-Dame?" Ein Schönling (Cary Grant) fragt Rigby im Zugabteil: "Sie rauchen nicht, oder?" Rigbys Antwort: "Nein, ich habe Tuberkulose." Darauf der Schönling: "Oh, dem Himmel sei Dank." Einmal schlüpft Rigby in Frauenkleider, setzt sich eine blonde Perücke auf und umgarnt Fred MacMurray. Über die Karibikinsel Carlotta, auf der der Showdown stattfindet, sagt Rigby: "Carlotta war ein Ort für Menschen mit ausgeprägt einfachem Geschmack. Abends kam auf den Tisch, was man tagsüber überfahren hatte."

Steve Martin – amerikanischer Komiker, Schriftsteller, Musiker, Produzent und Schauspieler – hat selbst am Drehbuch mitgeschrieben. Er zeigt als Rigby Reardon sein großartiges komödiantisches Talent. Er spielt einen heruntergekommenen Detektiv, der den taffen Typen mimt und der in Wahrheit weich wie Butter ist. Obwohl in seinem Büro der Marlowe-Spruch hängt: "Don't Fall in Love with a Client", verliebt er sich sofort in Juliet und nutzt ihre Ohnmacht aus, ihr einen Kuss zu geben. Die Liebesgeschichte bildet ein spannungsvolles Gegengewicht zur Krimihandlung und verläuft nicht ohne Probleme. Aufgrund eines Missverständnisses glaubt Juliet, Rigby liebe sie nicht mehr, und entzieht ihm seinen Auftrag (vorübergehend!). Der Detektiv ist verzweifelt und äußert sich – eine herrlich ironische Parodie auf Marlowe/Bogart! – wie folgt: "Alle Weiber sind doch gleich. Erstmal reißen sie dir das Herz aus dem Leibe. Dann schmeißen sie es runter auf den Fußboden. Dann trampeln sie mit ihren hohen Hacken darauf und spucken darauf, streuen Pfeffer und Salz darauf und hauen es in die Pfanne. Und dann schneiden sie davon Scheibchen runter, knallen es auf ein Stück Toast und setzen es dir vor. Und erwarten, dass du sagst: 'Tausend Dank, Schatz, es ist köstlich!'" Diese Technik des „voice-over“, der „Erzählerstimme“, kommt übrigens – wie in vielen der alten Streifen – im Film durchgehend vor und gibt dem Erzählten eine ironische Distanz.

Zwischen Steve Martin und Rachel Ward stimmt die Chemie, das Paar ist hinreißend. Rachel Ward ("Die Dornenvögel") spielt die sanfte, zarte, besorgte Klientin, die aber mutig und zupackend sein kann. Ein running gag des Films ist, dass Juliet die Kugeln, die auf Rigby im Laufe seines Kampfes gegen die Unterwelt abgeschossen werden, mit einem Ruck aus seinem Körper entfernt: Man sieht dann wiederholt in Großaufnahme ihren Mund mit der Patrone zwischen den Zähnen. Juliet kann Rigby auch von seiner Obession befreien, die darin besteht, dass er immer sofort ausrastet, wenn er das Wort "Reinemachefrau" ("cleaning woman") hört. (Als er sieben Jahre alt war, verließ sein Vater die Familie mit der Reinemachefrau!). Das alles ist auf gelungene Weise unernst und ernst zugleich.

Regisseur und Drehbuchautor Carl Reiner, amerikanische Comedy-Legende, spielt selbst auch mit. Sein Auftritt am Ende des Films als der böse Nazi-Feldmarschall von Kluck ist ein Kabinettstückchen erster Güte. (Reiner starb im Juni 2020 im Alter von 98 Jahren.) Es wurde schon mehrfach versucht, das alte Hollywood der 40er/50er Jahre und seine "schwarze Serie" wiederzubeleben, man denke an Jean-Pierre Melvilles "Der eiskalte Engel" oder Roman Polanskis "Chinatown". Aber diese Filme reichen nicht an "Tote tragen keine Karos" heran. Reiners liebevolle hintergründige Parodie ist die schönste Hommage an das alte Genre des Film Noir, die sich denken lässt. Ach ja, der Titel! Was bedeutet der? Keine Ahnung! Rigby sagt aus dem Off: „Als ich in Carlotta eintraf, dachte ich an die Worte, die Marlowe vor 15 Jahren zu mir sagte: 'Tote tragen keine Karos'. Ich weiß bis heute nicht, was es bedeutet."

Ein Tipp: Man sollte sich, wenn möglich, die amerikanische Fassung anschauen, mit deutschen Untertiteln – wegen der sprachlichen Feinheiten. Dann wirkt der Film noch besser. Ein kleiner Einblick ist auf Youtube zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=yd1k4qg1SwE

Hier noch eine gute Übersicht über die Gattung des Film Noir: https://filmsucht.org/stroemung/film-noir/  

Manfred Lauffs / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

Tote tragen keine Karos
(Dead Men Don't Wear Plaid)

USA 1982
Regie: Carl Reiner;
Darsteller: Steve Martin (Rigby Reardon), Rachel Ward (Juliet Forrest), Carl Reiner (Juliets Butler/Feldmarschall Wilfried von Kluck), Reni Santoni (Carlos Rodriguez);
Drehbuch: Carl Reiner, George Gipe, Steve Martin; Produzenten: William E. McEuen, David V. Picker; Kamera: Michael Chapman; Musik: Miklós Rózsa; Schnitt: Bud Molin; Kostümdesign: Edith Head;

Länge: 88 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; westdeutscher Kinostart: 20. August 1982



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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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