12.10.2015
Ein Film auf dem Filmfest Hamburg 2015 (01.-10.10.2015), Sektion Transatlantik

The End of the Tour


The End of the Tour David Lipsky schreckt auf wie von einem bösen Traum erwacht und stürzt mit ungläubigem Ausdruck durch die Wohnung nachdem er sein Telefonat beendet. "Ich dachte, wenn es einer als erstes weiß, dann du", stellt die Stimme am anderen Ende der Leitung fest. Wieso weiß es David nicht? Ratlos zieht er das Internet zu Rate, weil er sich nicht vorstellen kann, dass sein Namensvetter und Idol nicht mehr unter den Lebenden weilt. Doch es ist wahr. Niedergeschlagen wühlt David alte Kassetten hervor, die ein mehrtägiges Interview mit dem verstorbenen David Foster Wallace festgehalten haben. Es sind viele Jahre vergangen, da offensichtlich die Lebenszeit der Batterien im Diktiergerät längst vorüber ist. Schnell müssen die Energiespeicher der elektrischen Zahnbürste herhalten, damit David seine Reise mit dem exzentrischen Schriftsteller durchleben kann.

An die zehn Jahre vorher blickt der Zuschauer in das junge und strahlende Gesicht von Jesse Eisenberg alias David Lipsky. "There better be a story", sagt Redakteur Jann zu Lipsky und blickt so tief in Davids erfreute Augen als ob er von Anfang an wüsste, dass es keine geben wird, als ob er nur um Davids Willen einen Ausflug zu einer der literarischen Größen ihrer Zeit bezahlt wird. Zehn Jahre lang ist Rolling Stone auch ohne Artikel über Literatur ausgekommen, schon gar über einen über 1.000 Seiten starken Klopper. Lipsky macht sich mit leichtem Gepäck auf die Reise.

Es sind die letzten Tage der Lesetour für Infinite Jest von Wallace, seine letzte Station in Minnesota, die Lipsky hautnah miterleben möchte. Auch wenn Infinite Jest mit seinem Umfang wohl für Menschen mit sehr viel Zeit bestimmt ist, begeistert es Amerika der späten 90er Jahre so nachhaltig, dass Wallace zu einem Star der Literaturbühne wird. Wallace ist ein kauziger Kerl, der abgeschieden mitten im Nirgendwo von Illinois ein Haus mit seinen zwei Hunden teilt. Er lehrt an einer nahe gelegenen Universität und geht zu Tanzveranstaltungen von Baptisten. Mit seiner zurückgelehnten und wissenden Art ist er von der ersten Sekunde an sympathisch. Er bleibt es, auch wenn er Lipsky regelmäßig vor den Kopf stößt. Lipsky muss Wallace mehrfach darauf hinweisen, dass er zum Interview zugestimmt hat, um weitere Fragen stellen zu können.

> Basierend auf dem von Lipsky veröffentlichten Memoiren Although of Course You End Up Becoming Yourself: A Road Tour with David Foster Wallace nach dem Tod von Wallace und seinen persönlichen Erzählungen schuf Drehbuchautor Donald Margulies eine intensive Darstellung der Begegnung zweier Männer, beide Literaten, wie sie nicht verschiedener sein könnten. Das Drehbuch ist gefüllt mit klugen Dialogen und Lebensweisen, mit denen man in jedem Poesiealbum glänzen könnte. Wie Margulies selbst sagt, schuf er aus vorhandenem Material eine Geschichte zweier Männer, die umeinander kreisen.

The End of the Tour Sie mögen sich auf eine Art, wie sich Brüder manchmal mögen: Der leise Neid um das Leben des anderen webt sich in Fragen nach dem Sinn der eigenen Existenz. "Das ist nett, aber das ist nicht real", stellt Wallace sehr früh im Gespräch mit Lipsky fest. In wenigen Tagen durchforstet Lipsky jeden Winkel des Lebens von Wallace mit seinen Fragen: Warum hat er keinen Fernseher? Warum ist er nicht verheiratet? Ist er heroinabhängig gewesen? Die Mischung als intellektuellem Gespräch und amerikanischem Alltagsgebaren steht sowohl Jason Segel alias Wallace als auch Jesse Eisenberg sehr gut. Beide Schauspieler vertiefen sich sichtlich in ihre Rollen und verleihen ihnen sehr viel Leben. Man könnte ihnen auch länger zuschauen, wie sie sich aneinander reiben.

Nicht nur das. Die Thematik von Sucht, Konsum, Glück ist nicht aufdringlich und doch sehr tiefsinnig aufbereitet. Laut Wallace werden wir alle sterben, wenn der technische Fortschritt einen so großen Eingang in unser Leben findet. Wir werden auf eine sehr bedeutsame Weise sterben, indem wir weiter vor dem Bildschirm sitzen bleiben, in dem uns Menschen ansprechen, die nur unser Geld wollen. Vielleicht sind seine Gedanken schon über 20 Jahre alt und doch sind sie so aktuell wie nie.  

Margarethe Padysz / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Sony Pictures

 
Filmdaten 
 
The End of the Tour (The End of the Tour) 
 
USA 2015
Regie: James Ponsoldt;
Darsteller: Jesse Eisenberg (David Lipsky), Jason Segel (David Foster Wallace), Anna Chlumsky (Sarah), Joan Cusack (Patty), Mamie Gummer (Julie), Mickey Sumner (Betsy), Ron Livingston u.a.;
Drehbuch: Donald Margulies; Produzenten: David Kanter, Matt Deross, James Dahl, Mark Manuel, Ted O'Neal; Kamera: Jakob Ihre; Musik: Danny Elfman; Schnitt: Darrin Navarro;

Länge: 106 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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