15.02.2010

Zu kaputt fürs Überleben

Submarino

Zwölf Jahre ist es schon her, seit Thomas Vinterbergs Ausnahme-Drama "Das Fest" in Cannes ausgezeichnet wurde. Seinem Film über eine Geburtstagsfeier, auf der der lange zurückliegende sexuelle Missbrauch zweier Geschwister öffentlich gemacht wird, wurde damals der Kritikerpreis FIPRESCI verliehen. In seinem neuen Werk "Submarino", das bei der Berlinale 2010 im Wettbewerb um den Goldenen Bären steht, hat sich der Mitbegründer des Dogma-Manifests zwar stilistisch von den Dogma-Vorgaben entfernt; inhaltlich jedoch ist er zurückgekehrt zur Thematik der dysfunktionalen Familie. Mit "Submarino" präsentiert er ein in graue Bilderfolgen gegossenes Sozialdrama, das die Frage aufwirft, welche Freiheit Individuen überhaupt besitzen, wenn sie im Prekariat heranwachsen. Die Antwort liefert der dänische Regisseur gleich mit – nicht viel.

Eine Mutter, die im Vollrausch nach Hause kommt, ihr Kind ohrfeigt, zusammensackt und schließlich bewusstlos im eigenen Urin auf dem Küchenboden liegt; zwei Söhne, die im Supermarkt Nahrung stehlen, sich zu dröhnender Musik nach dem Vorbild der Mutter volllaufen lassen; dann, Jahrzehnte später, ein erwachsener, übergewichtiger Kerl, der noch nie mit einer Frau intim war, dafür aber die eigene schlafende Schwester begrapscht – der Alltag in Vinterbergs "Familien", die am Rande der Gesellschaft stehen, ist ein schrecklicher. Drogen und Alkohol sind die verlässlichen Begleiter, nach denen wie selbstverständlich getastet wird, wenn das alltägliche Grauen sich nicht mehr ertragen lässt – also eigentlich immer.

Der Filmtitel "Submarino" bezieht sich auf eine grausame Form der Folter, bei der der Kopf des Opfers so lange unter Wasser gedrückt wird, bis es zu ersticken droht. Konsequenterweise setzt Vinterberg sowohl sein Publikum als auch seine Protagonisten einer düsteren, schwer aushaltbaren Story aus. Gerade, wenn man einen schaurigen Vorfall überstanden zu haben glaubt und nach Luft schnappt, setzt der Regisseur noch eins drauf – noch ein Mord, noch eine Leiche. In das eiskalte Unterschicht-Milieu, in dem der Vinterberg seine Protagonisten ums Überleben kämpfen lässt, fallen nur wenige Lichtstrahlen menschlicher Wärme.

Erzählt wird die Geschichte zweier Brüder, die die Erinnerung an den Tod ihres Baby-Bruders auf tragische Weise verbindet. Und doch sind sie im Erwachsenenalter einander abhanden gekommen – der gerade aus dem Gefängnis entlassene Nick (Jakob Cedergren), der sich mit Hanteltraining eine harte Hülle zulegt, bringt es kaum über sich, den jüngeren Bruder (Peter Plaugborg) zu kontaktieren. Der hingegen ist inzwischen selbst Vater, ein Junkie, dem es nicht gelingt, seine Sucht zu verstecken, und der hilflos versucht, für seinen Sohn Martin zu sorgen. Diese Vater-Sohn-Beziehung spiegelt die Tragik der eigenen Herkunftsfamilie wider – auch hier muss das Kind die Funktion des Erwachsenen übernehmen, muss der Sechsjährige den Vater morgens wecken, damit der ihn in den Kindergarten bringt.

Vinterbergs Brüder sind keine liebesunfähigen, verantwortungslosen Sozialkrüppel. Trotz ihrer Instinkte, ihrer Empfindungen, ihrer hilflosen Versuche, die Dinge "besser" zu machen, können sie kaum anders als scheitern. Was fehlt, ist die Orientierung an einem Ziel, wie ein Leben in gesunden Strukturen und ohne Mittel der Betäubung aussehen könnte. "Submarino" ist ein Brocken, den man zwar schlucken kann – seine Charaktere wirken glaubwürdig, das Unterschichtmilieu kauft man ihm ab – der einem aber lange und schwer im Magen liegt. Auch wenn das Ende suggeriert, dass Martin bei seinem Onkel Nick nicht in völliger Kälte aufwachsen wird, verdunkelt die fatalistische Grundstruktur auch diesen Hoffnungsschimmer. So bleibt Submarino eine zwar in psychologischer Hinsicht starke, aber auch quälend ausweglose Geschichte, die wirkt, als habe sich ihr Macher nur ja nicht zu weit über den milieutheoretischen Rahmen hinauswagen wollen.  

Jasmin Drescher / Wertung: * * * (3 von 5)



Filmdaten

Submarino
(Submarino)

Dänemark 2010
Regie: Thomas Vinterberg; Drehbuch: Tobias Lindholm, Thomas Vinterberg nach dem Roman von Jonas T. Bengtsson; Produktion: Morten Kaufmann; Ausführende Produktion: Birgitte Hald; Kamera: Charlotte Bruus Christensen; Musik: Kristian Eidnes Andersen;
Darsteller: Jakob Cedergren (Nick), Patricia Schumann (Sofie), Dar Salim (Goran), Morten Rose (Ivan), Helene Reingaard Neumann (Mona), Gustav Fischer Kjærulff (Martin), Henrik Strube (Jimmy Gule), Finn Bergh, Peter Plaugborg, Sebastian Bull Sarning, Mads Broe Andersen u.a.

Länge: 110 Minuten; ein Film im Wettbewerb der Berlinale 2010; deutscher Kinostart: noch nicht bekannt



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"Die erste Frage war immer, ob ich aus dem Osten oder Westen bin. Hätte man auch googeln können."

Regisseur Wolfgang Becker (22. Juni 1954 - 12. Dezember 2024), Regisseur von "Good Bye, Lenin!", über Interviews zum Film

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