30.05.2008
Zu viel Ballade - zu wenig Geschichte?

Strajk
- Die Heldin von Danzig


Zu den metallischen Klängen von Jean-Michel Jarre brennt das Innere eines Schiffes. Das gleichzeitige Schweißen und Tanken endet in einer unausweichlichen Explosion, nach der 21 Tote bedeckt von Zeitungsblättern am Steg liegen – das Ergebnis mangelnder Sicherheitsstandards in der Leninwerft in Danzig, Bilanz kommunistischer Entsagung. Inmitten des Treibens des polnischen Alltags am Baltikum durchschreitet im Stechschritt Agnieszka (Katharina Thalbach) die Reihen der Toten. Regisseur Volker Schlöndorff nutzt jede Chance für Pathos.

Dabei fängt die Geschichte der Vorzeigeheldin so harmlos an. Während andere bereits von Politbüroinszenierungen gelangweilt unter dem Tisch Wodka ausschenken, wird Agnieszka wieder und wieder ausgezeichnet, bis sie schließlich statt der Orden einen Schwarz-Weiß-Fernseher nach Hause schleppen darf. Dekoriert werden nur außergewöhnliche Leistungen, doch für das Überleben gibt es ein anderes Motto: "Wir tun so, als ob wir arbeiten und sie tun so, als ob sie uns bezahlen". Die allein erziehende Mutter kämpft trotzdem jeden Tag für ihre kleine Familie. Die Brutalität schlägt tagtäglich zu: Der kranke Sohn, für den keine Zeit da ist, der alkoholisierte Nachbar, der seine Frau schlägt, die Mittagspause, die zu kurz zum Essen ist. Agnieszka lernt Lesen und Schreiben, um von der Schweißerei zum Kran zu wechseln und mehr Zeit für den Sohn zu haben, nimmt den Kollegen die Flasche weg und bringt den Suppenwagen von der Kantine zu den Arbeitern. Eine politische Mutter Teresa?

Die Bescheidenheit und Gutherzigkeit der Kranführerin Agnieszka drückt alle übrigen Gestalten an den Rand des Geschehens. Sie ist und bleibt stets das Mustervorbild einer Bürgerin mit Zivilcourage. Nicht einmal der polnische Untergrund, wortgewandt und engagiert, vermag ihr das Wasser zu reichen. Agnieszka schreibt Artikel, die auch den einfachen Werftarbeiter ansprechen. Sie ist es, die Pamphlete in die Werft schmuggelt und sie wie überdimensionale Schneeflocken aus ihrem Kran fliegen lässt. Im August 1980 verliert sie ihre Arbeitsstelle und der Streik beginnt. Ihre Wiedereinstellung ist das erste Postulat der Streikenden. Wenn nicht Agnieszka den Elektriker Leszek beiseite genommen hätte, um ihm gehörig die Leviten zu lesen, wären die Forderungen der Werftarbeiter bei Wiedereinstellungen und mäßigen Lohnerhöhungen geblieben. Sie lebt die Solidarität, während andere sich in politischen Kompromissen zu verlieren drohen.

Die Schlüsselfigur dieser Tage heißt jedoch nicht Agnieszka, sondern Anna Walentynowicz. Genau diese Anna, deren Leben in strahlenden Farben auf die Leinwand geklatscht wird, stürmte nach der Premierevorführung des Films aus dem Kinosaal und wollte den Regisseur im Gerichtsaal wiedertreffen. Warum regt sich die alte Dame so auf, dass ihr rechtliche Schritte nicht unliebsam sind? Wegen der filmischen Unwahrheit. Schlöndorff verändere die Geschichte, so Anna Walentynowicz. Die Werftarbeiter haben nicht die ganze Zeit Wodka aus unetikettierten Flaschen getrunken. Sie haben auch nicht den Parteisekretär zusammengeschlagen. Ihr Sohn trat nicht der ZOMO (polnische Bürgermiliz) bei, der Agnieszka im Film Blutergüsse und aufgesprungene Lippen zu verdanken hatte, nachdem sie bei einer Demonstration verhaftet wird. Während sie erschöpft die Tür öffnet, steht ihr Fleisch und Blut in neuer Uniform da. "Jetzt bist du einer von denen?", fragt sie. Zwar mag diese Situation in Walentynowicz' Heim nie stattgefunden haben, in vielen anderen polnischen Wohnungen war es aber traurige Realität. Gespaltenes Polen bedeutet auch gespaltene Familien.

Man muss sich an dieser Stelle ernsthaft fragen, für welches Publikum Schlöndorff seinen Film gedreht hat. Plattitüden und teilweise sogar falsche Darstellung setzten beim polnischen Publikum viel guten Willen voraus. Für ausländische Zuschauer bietet Agnieszka eine komprimierte Darstellung polnischer Probleme Ende des 20. Jahrhunderts an. Der tägliche Kampf ums Überleben. Die Hoffnungslosigkeit eines schwierigen Neuanfangs. Die von der Partei sorgsam gebastelte Einbahnstraße zivilen Lebens. Auch wenn "Strajk" nicht mehr als eine Biographie von Walentynowicz gelten kann, so ist es ohne Zweifel eine Erklärung damaliger Verhältnisse für Westeuropäer. Allerdings eine recht frei gewählte Erklärung, denn angesichts der Legendenträchtigkeit kann keine Rede von einem Dokumentarfilm mehr sein. Das pathetische Ende setzt dem Eiskremberg eine Kirsche auf, die ihn beinahe zu Fall bringt. Die Ballade an historische Ereignisse, die es durch und durch bleibt. Die Frage lautet, ob sie auch als solche für das unbeteiligte Auge erkennbar bleibt.  

Margarethe Padysz / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Strajk - Die Heldin von Danzig (Strajk - Bohaterka z Gdanska) 
 
Deutschland / Polen 2006
Regie: Volker Schlöndorff;
Darsteller: Katharina Thalbach (Agnieszka), Andrzej Chyra (Lech Walesa), Dominique Horwitz (Kazimierz), Krzysztof Kiersznowski (Mateusz), Dariusz Kowalski (Bochnak), Ewa Telega (Mirka), Wojciech Pszoniak (Kaminski), Wojciech Solarz (junger Krystian), Barbara Kurzaj (Elwira), Maria Maj (Chomska), Jowita Budnik (Dobrowolska) u.a.; Drehbuch: Andreas Pflüger nach der Biographie von Sylke Rene Meyer; Produktion: Jürgen Haase; Ausführende Produktion: Wolfgang Plehn; Co-Produktion: Alexander Ris, Jörg Rothe, Maciej Slesicki; Kamera: Andreas Höfer; Musik: Jean-Michel Jarre; Länge: 104 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Progress Film; deutscher Kinostart: 8. März 2007



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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