Januar 2001
Schrei, wenn der Tingler kommt!
Wir sehen eine weiße Leinwand, vor die ein älterer Herr im Anzug tritt und sich als der Regisseur William Castle vorstellt. Seine folgenden Warnungen sind im Horrorgenre üblich, dagegen überrascht seine Aufforderung bei Angstmomenten doch bitte möglichst laut zu schreien. Es könnte Leben retten! Dann markerschütterndes, immer lauter werdendes Geschrei und näher kommende schreiende Köpfe - womit die Einführung beendet ist und der Vorspann beginnt.
Dr. Chapin (Vincent Price) arbeitet in einem Gefängnis als Pathologe und Wissenschaftler. Ein Ollie Higgins (Philip Coolidge) platzt in sein Labor und zeigt Interesse an Chapins Theorie über den "Tingler". Dieses von Angst genährte Etwas soll in der Lage sein Menschen zu töten. Das Verhalten von Ollies taubstummer Frau Martha (Judith Evelyn) sieht Chapin als Bestätigung für seine Theorie: Ihr Schreck bei dem Anblick von Blut führt zu einer Ohnmacht. Für Chapin steht fest, daß ihr die Möglichkeit fehlt Angst "herauszulassen", weil sie nicht schreien kann. Chapin benutzt seine biestige Frau Isobel (Patricia Cutts) für ein Experiment, indem er sie in Todesangst versetzt und Röntgenbilder von ihr macht. Später unternimmt er einen Selbstversuch mit einer halluzinogenen Droge. Der fehlschlägt, da Chapin in Panik aufschreit und die Spannung wieder auflöst - übrigens das erste LSD-Experiment in einem Film. In der Zwischenzeit sieht Martha in ihrer Wohnung so schockierende Dinge, daß sie tot zusammenbricht. Durch eine Obduktion kann Chapin den Tingler freilegen. Dieses Wesen, welches jeder Mensch am Rücken in sich tragen soll, ähnelt einem Hummer (!) und kann sich fortbewegen.
Nach Angriffen des Tinglers soll er der Verstorbenen wieder eingesetzt werden. In Ollies Wohnung kann der Tingler entwischen und in das tiefer gelegenen Kino des Ehepaar Higgins gelangen. Dort versetzt er natürlich das Publikum in Panik...
Kritiker und Zuschauer werden leicht gewillt sein, den Film als komplett albern abzutun. Dementsprechend gibt es sehr abweichende Kommentare. Ein Horrorlexikon hat nicht mehr als ein paar kurze Zeilen und die Bemerkung: "Auf diese Idee muß man erst einmal kommen!" übrig. Kritiker Hans Schifferle begegnet dem Film mit mehr Ernst: "...eine atmosphärische, bisweilen naturalistische Studie über den Hokuspokus von Biologie, Psychologie und Cinematographie. Es geht nämlich vor allem ums Kino, um das gemeinsame Alleinsein in dunklen Räumen."
"The Tingler" hat einfallsreich in Szene gesetzte Momente, die vermutlich ihre volle Wirkung erst im Kino entfalten. So etwa die Film-im-Film-Szene. Der Stummfilm "Tol'able David" von Henry King wird nicht über die Köpfe der Zuschauer hinweg gezeigt, sondern so, als wäre er Teil der Hauptpräsentation. Es gibt einen Filmriß, und auf der weißen Leinwand sieht man die riesige Projektion des Tinglers, von links nach rechts krabbelnd. Dann ist alles schwarz, und die Stimme von Price fordert eindringlich, laut um das eigene Leben zu schreien.
Schwierig bleibt die Frage der Bewertung. Bestimmt ist dieser Film einer der besseren B-Movies, definitiv mit Unterhaltungswert für alle, die auch Spaß an "Trash" haben.
Jessica Ridders
/ Wertung:
* *
(2 von 5)
Filmdaten Schrei, wenn der Tingler kommt! (The Tingler) USA 1959 Produktion und Regie: William Castle; Drehbuch: Robb White; Kamera: Wilfred M. Cline; Musik: Von Dexter; Schnitt: Chester W. Scheffer; Darsteller: Vincent Price (Dr. William Chapin), Judith Evelyn (Mrs. Higgins), Darryl Hickman (David Morris), Patricia Cutts (Isabel Chapin), Pamela Lincoln (Lucy Stevens), Philip Coolidge (Ollie Higgins) u.a. Länge: 80 Minuten; FSK: ab 16 Jahren.
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