11. Mai 2006
Kein Virenschutz gegen Paranoia

Schläfer


SchläferJohannes, ein junger Virologe (Bastian Trost), tritt eine neue Stelle an. Noch bevor er seinen künftigen Arbeitsplatz kennenlernt, hat bereits der Verfassungsschutz in Form einer unscheinbaren Bayerin seine Fühler nach ihm ausgestreckt. Er könne doch bitte für den Staat einen des Terrorismus verdächtigen, aus Algerien stammenden Kollegen (Mehdi Nebbou) vorsichtig ausforschen? Benjamin Heisenberg zeigt in seinem Regiedebüt, beim Max-Ophüls-Festival 2006 preisgekrönt, wie der Kontrollwahn die Unschuldsvermutung umkehrt und normale zwischenmenschliche Verhältnisse untergräbt.

Einen Tag nach dem deutschen Kinostart von "Schläfer" gewann das kurz zuvor im Kino gestartete Drama "Das Leben der anderen" den Deutschen Filmpreis. In diesem Film von Florian Henckel von Donnersmarck spielt "Schläfer"-Hauptdarsteller Bastian Trost ebenfalls mit. Passenderweise in der Rolle eines Stasi-Opfers; in der Rolle eines Menschen, der vom Geheimdienst durch Verhöre solange psychisch gefoltert wird, bis er einknickt; kurz: Trost stellt dort einen Menschen dar, an dem ein Geheimdienst ein Exempel statuiert.
Nun kann man die ostdeutsche Staatssicherheit und westdeutsche Geheimdienste wie BND, MAD und Verfassungsschutz nicht miteinander vergleichen. Am Abend der Verleihung des Deutschen Filmpreises, am Freitag, dem 12. Mai 2006, geschah gerade dies in den Medien sehr wohl. Gerade an dem Tag kristallisierte sich die Affäre um den BND heraus, der die in Demokratien verbürgte Pressefreiheit missachtete; mit der Begründung, Lecks innerhalb des BND ausfindig zu machen - wer redete mit dem SPIEGEL über die Plutonium-Affäre des Jahres 1995, war in dem Fall der Hintergrund. Journalisten waren auf Journalisten angesetzt worden, um Quellen des investigativen Journalismus zu enttarnen. Und dies ging zu weit.

SchläferIn "Schläfer" wird ein Virologe auf einen Virologen angesetzt. Johannes sträubt sich zunächst dagegen. Zumal Farid in Ordnung zu sein scheint, anfangs. Nur die Hautfarbe trennt Farid von westlichem Habitus, der junge Mann ist smart und charmant, als Wissenschaftler angesehen, unauffällig - für Johannes für die ersten Wochen ein guter Arbeitskollege und bald ein Freund, für den Verfassungsschutz ein perfekter "Schläfer"; daher bleibt die in bayerischem Dialekt mütterlich und gleichfalls unauffällig wirkende Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes an Johannes dran; mit Erfolg.

Es gab einen Maßnahmenkatalog. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily rief ihn ins Leben. Hauptstichpunkt war darin die so genannte Rasterfahndung. Speziell Hochschulen sollten gezielt auf "Schläfer" hin geprüft werden. Studenten mit Migrationsherkunft erhielten diese harmlos klingende Bezeichnung. Nicht alle, zunächst. Bestimmte: die in Hamburg wohnenden und studierenden späteren 9/11-Attentäter. Vor allem, aber nicht nur in Deutschland lebten sie zuletzt, unauffällig, bevor sie US-Flugzeuge kaperten. An den Hochschulen fielen sie nicht weiter auf, wirkten mitunter an das Leben in der westlichen Welt angepasst. Haben sie Nachfolger?, lautete die sich logisch anschließende Frage. Weitere muslimische Migranten, die scheinbar einem geregelten Studium nachgehen? Es solle nicht nochmal vorkommen, versprach Schily, im Einklang mit einer durch die Ereignisse von New York, Washington und Shanksville geschockten Welt. Die Rasterfahndung lief tatsächlich an. Die Hochschulen gaben die Daten der in Frage kommenden Studenten weiter. Zweifel an dem Vorgehen wurden da noch nicht geäußert, außer von Seiten von Außenseitern. Irgendwann setzte sich doch die Erkenntnis durch: vornehmlich Unschuldige wurden gejagt. Eine Trennung zwischen Unschuldigen und potenziellen Terroristen kann sich der Staatsschutz nicht leisten, auf Grund des Umkehrschlusses der Unschuldsvermutung. Ein Terrorist, der doch durchs Raster kam, zerstört den Ruf der Geheimdienste.

Mit "Das Leben der anderen" und "Good Night, and Good Luck", zwei Filmen, die nahezu gleichzeitig mit "Schläfer" aktuelle Kinofilme waren, steht Heisenbergs stiller Film im direkten Dialog, sie ergänzen sich, indem sie die außer Kontrolle geratende Kontrolle der Bürger durch den Staat zum Thema machten. Der eine Film spielt Mitte der 80er in der DDR, der andere in der McCarthy-Ära der USA - "Schläfer" aber spiegelt die bundesdeutsche Gegenwart wider und zeigt dabei, wie zwischenmenschliche Beziehungen dem bloßen Grundverdacht unterworfen werden. Johannes und Farid sitzen in einer Münchner Kneipe. Johannes stellt die Gretchen-Frage - sag, wie hältst du’s mit der Religion? - und der möglicherweise zuhörende Geheimdienst kann stolz auf Johannes sein, der sich einer informellen Mitarbeit stets entziehen wollte, aber bald nicht mehr anders kann; vielleicht unterschwellig, vielleicht nicht. Mutmaßlich hört der Geheimdienst zu - warum sitzt, zeigt Heisenberg nebenbei, ein unscheinbares Pärchen nahebei, mit auf die beiden Forscher gerichtetem Sektkübel neben sich?
SchläferWarum stellt die Frau (Loretta Pflaum), die die beiden in der Kneipe kennengelernt haben und Eifersucht zwischen beiden erzeugt, nur ähnliche Fragen, wie Johannes sie stellt - an beide? Alles nur Zufall? Oder hat der Geheimdienst Angst vor dem Zufall der Nichtentdeckung eines Terroristen und plant alles bis ins Detail bis zum unumgänglichen und gleichwohl unbegründeten Verrat Farids durch Johannes?

"Schläfer" ist kein Action-Film trotz des Themas, alles andere als das, im Gegenteil: Die Inszenesetzung der Thematik ist dem Filmtitel angepasst. Das klingt negativ; für den einen oder anderen Zuschauer wird dies auch zermürbend sein, zumal der Film sich nur langsam entwickelt. Aber indem Heisenberg, der mit dem berühmten Forscher Werner Heisenberg verwandt ist, auf eine intelligente Dialogführung setzt und dem Zuschauer nicht zuviel erklärt, stehen, wie von Heisenberg erwünscht, diesem alle Optionen offen, sich seine eigene Meinung über zersetzend eingreifende Geheimdienste zu bilden.  

Michael Dlugosch / Wertung:  * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: www.coop99.at

 
Filmdaten 
 
Schläfer (Österreich / Deutschland 2005) 
 
Regie: Benjamin Heisenberg;
Darsteller: Bastian Trost (Johannes), Mehdi Nebbou (Farid), Loretta Pflaum (Beate), Gundi Ellert (Frau Wasser), Wolfgang Pregler (Prof. Behringer) u.a.; Drehbuch: Benjamin Heisenberg; Produktion: Barbara Albert, Martin Gschlacht, Jessica Hausner, Antonin Svoboda, Peter Heilrath; Redaktion (ZDF): Burkhard Althoff; Kamera: Reinhold Vorschneider; Musik: Lorenz Dangel; Länge: 105 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Zorro Film GmbH / Filmwelt



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<11. 5. 2006>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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