27. Juni 2002
Brutalstmögliche Aufklärung

Rufmord
- Jenseits der Moral 



Drei Monate vor der Bundestagswahl 2002 fand ein zu dem Zeitpunkt zwei Jahre alter amerikanischer Spielfilm den Weg in die deutschen Kinos, der die Männerdomäne Politik kritisch durchleuchtet. Der Senatorin Laine Hanson (Joan Allen) werden Steine in den Weg gelegt, als US-Präsident Jackson Evans (Jeff Bridges) sie zu seinem neuen Vize nominiert. Indem ihre als sündhaft bezeichnete Vergangenheit vom politischen Gegner ans Tageslicht gebracht wird, wagt sie es, um ihren Ruf ins Weiße Haus sowie um ihren eigenen Ruf zu kämpfen... "Rufmord - Jenseits der Moral" wartet mit einem Realismus auf, der bezüglich der Thematik seinesgleichen suchen würde, hätte Rod Lurie seinem Drehbuch nicht Schlusspointen verschrieben, die keineswegs ins Gesamtbild passen.

Rufmord - Jenseits der Moral "The Contender": Der Originaltitel des Films steht auf deutsch für einen Bewerbungskandidaten. Übersetzen lässt sich der Begriff aber auch mit einer im Streit standhaft ihre Haltung vertretende Person. Standhaft: Das ist Laine Hanson, konvertierte Demokratin in mittleren Jahren, frisch designierte Nachfolgerin des drei Wochen zuvor verstorbenen US-Vizepräsidenten. Dies lässt sie zur Zielscheibe konservativer Politiker werden, die sich eine Frau auf dem zweithöchsten Posten der USA nicht vorstellen können. Aber es gibt einen dunklen Punkt in ihrem Leben. Jetzt, da das als Sex-Affäre der Öffentlichkeit präsentiert wird, könnte sie leugnen, die junge College-Studentin auf Fotos in Analstellung zu sein. Sie könnte auf ihre Benennung verzichten, sie könnte sich wehren... Aber nein: Sie besteht darauf, dass Privatleben und Politik strikt getrennt angesehen werden sollen, ihre Vergangenheit geht niemanden etwas an; diesbezügliche Fragen beantwortet sie nicht. Standhaft: Das ist auch Sheldon Runyon (Gary Oldman), Republikaner, Kongress-Mitglied, der sein Mitsprache-Recht bei der Entscheidung über den Vizepräsidenten stets selbstbewusst ausgenutzt hat. Er, ein sprich- und wortwörtlich old-fashioned Politiker, weiß nun seine Misogynie und damit seine spezielle Abneigung gegen Laine Hanson hinter dem von ihm geleiteten Komitee zu verbergen, das Hansons Tauglichkeit nach diesen neuen Erkenntnissen über sie untersuchen soll; das Komitee wird nicht von ungefähr an die Anklage Bill Clintons durch Kenneth Starr 1998 erinnern. Runyon hatte zuvor der Presse das kompromittierende Material zugespielt - welch öffnender Blick des Films hinter die offiziellen Wahrheiten. Standhaft: Das ist ebenfalls Jackson Evans, dessen zweite Amtsperiode als US-Präsident demnächst ausläuft, der sich mit seiner Arbeit arrangiert hat und in die Geschichte eingehen will als Präsident mit erster Vize-Präsidentin. Er unterstützt Hanson ohne Vorbehalte.

So zumindest scheint es nach außen hin und auch Hanson gegenüber, dass er zu ihr hält. Denn Politik, so zeigt Lurie raffiniert, ist Diplomatie mit Ecken und Kanten, ergo mit Intrigen und Kalkulationen, Manipulationen und Machtgerangel. Hier wird auf höchster Ebene getrickst und geschoben, was das Zeug hält, die Stärke der eigenen Position selbstbefriedigend ausgespielt. Runyon sagt einmal "Was ich sage, wird das amerikanische Volk glauben. Und wissen Sie auch, wieso? Weil ich ein sehr großes Mikrofon direkt vor mir stehen habe." Ein Zitat freilich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Für diese bestimmt ist der höfliche Umgang miteinander, vor allem vor dem Ausschuss, aber auch untereinander. Das geht hin bis zur Verniedlichungsform "Shelly" als Anrede eines als bieder verschrieenen Kollegen. Das geht des Weiteren hin bis zur regelrechten Audienz nacheinander von Evans und Hanson bei Runyon - brav müssen sie mit ihm essen gehen, um ihre Standpunkte überhaupt durchsetzen zu können, und auch hier steckt die Hintergründigkeit im Detail: Der stets essend zu sehende Präsident sucht als Vegetarier den Fleisch-Verschlinger Runyon auf. Der beim Zuschauer aufgebaute Ekel vor Gary Oldmans Rollenfigur ist mehr als sprichwörtlich beißend.

Mit "Rufmord" plante Regisseur Lurie nach eigener Aussage, zu den ernst gemeinten Polit-Thrillern der 70er Jahre zurückzukehren, beispielsweise "Die Unbestechlichen" ("All the President's Men") mit Robert Redford und Dustin Hoffman als jene Journalisten, die Watergate aufdeckten. Dieses selbst vorgegebene Ziel hat Lurie erreicht. Etwas anderes erzielt er mit "Rufmord" ebenso, denn in seinem Film ist nicht nur die Rolle der Frau in der von Männern dominierten Politik-Sphäre dargestellt, es geht hier auf latenter Ebene auch um die Stellung der Frau unter Männern allgemein, um den Kampf der Geschlechter.

Rufmord - Jenseits der Moral So beginnt der Film mit dem Tod einer jungen Frau. Mit ihrem Auto stürzte sie in einen See, und Governor Jack Hathaway (William Petersen), zufällig vor Ort, und noch zufälliger ein Journalist an seiner Seite, konnte sie nicht retten. Ein Mann, Politiker höchsten Ranges, konnte den Tod einer Frau nicht verhindern. Der von den Medien errichtete Heldenstatus Hathaways, es versucht zu haben, freilich vergeblich, sieht ihn deswegen als künftigen Vize-Präsidenten vor; die öffentliche Meinung zieht mit. Welch ein Bild: Auf Kosten des Lebens einer Frau wird der Governor verklärt. Die oberflächliche Sichtweise der Medien überzeugt aber nicht den intelligenten Präsidenten selbst, Evans bastelt an der Vize-Präsidentin Hanson und erklärt es Hathaway mit dem Hinweis auf Chappaquiddick, als einst Senator Ted Kennedy den Tod einer anderen jungen Frau verschuldet hatte. Die Symbolik, so Evans, sei problematisch in den Erinnerungen der Öffentlichkeit. So sieht das aber nicht Runyon, an Hathaways Tauglichkeit gibt es für ihn nichts zu bezweifeln: Hier greifen medienmanipulierte Meinung und Meinung eines mächtigen Politikers ineinander über. Runyon, der manipulierte Politiker, der so gerne selber manipuliert. Die Episode um Hathaways Ungeschick wird am Ende des Films Luries ansonsten geradezu genialer Offenbarung über die dem Wahlvolk vorenthaltenen Politiker-Intrigen eine negative Komponente beifügen, wie auch Hanson selbst noch eine Überraschung in petto haben wird, die den Zuschauer durch Unglaubwürdigkeit vor den Kopf stoßen wird.

Wenn aber Rod Lurie den Blick hinter die Kulissen der Politik darstellt, so spricht er den intelligenten Zuschauer eher an als jede Polit-Talkrunde. Erstmals soll in diesem Film eine Frau das zweithöchste Amt in den USA bekleiden - erstmals? Ja, erstmals, denn in der Realität war das auch noch nicht anders. Zumindest nicht in den USA, sowie es in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2002 noch nie eine Kanzlerin gegeben hat. Durch "Rufmord - Jenseits der Moral" erahnt der zu Wahlen aufgerufene Bürger, warum das noch nie so war. 

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Helkon Media AG

 
Filmdaten 
 
Rufmord - Jenseits der Moral (The Contender) 

Frankreich / USA 2000
Regie: Rod Lurie;
Darsteller: Gary Oldman (Sheldon "Shelly" Runyon), Joan Allen (Senatorin Laine Hanson), Jeff Bridges (President Jackson Evans), Christian Slater (Reginald Webster), Sam Elliott (Kermit Newman), William L. Petersen (Gov. Jack Hathaway), Saul Rubinek (Jerry Tolliver), Philip Baker Hall (Oscar Billings), Mike Binder (Lewis Hollis), Robin Thomas (William Hanson), Mariel Hemingway (Cynthia Charlton Lee), Kathryn Morris (Special Agent Paige Willomina), Kristen Shaw (Fiona Hathaway), Douglas Urbanski (Makerowitz), Noah Fryrear (Timmy) u.a.; Drehbuch: Rod Lurie; Produktion: Rainer Bienger, Willi Bär, Marc Frydman, Maurice Leblond, Steve Loglisci, Gary Oldman, Scott Shiffman, James Spies, Douglas Urbanski; Casting: Mary Jo Slater; Szenenbild: Alexander Hammond; Schnitt: Michael Jablow; Kamera: Denis Maloney; Musik: Larry Groupé; Länge: 126 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Helkon Media AG



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