30.10.2000
Shakespeares Hamlet in Variation

Rosenkranz und Güldenstern 



"To be or not to be" - diese Frage stellt sich nicht nur für Hamlet, sondern auch für Rosenkranz und Güldenstern, die man sonst nur als Nebenfiguren der berühmten Shakespeare-Tragödie kennt. Der Zuschauer erlebt die Handlung aus der Sicht der zwei "Nobodys" und so wird ihm eine überraschend neue Sicht auf die Dinge geboten.

Regisseur und Autor Tom Stoppard ist schon mit seinem Theaterstück in den 60ern eine höchst erfolgreiche und unterhaltsame Neuerzählung des Hamlet-Stoffes gelungen und kann dies mühelos in das Medium Film übertragen. Für Stoppard, der bereits als Drehbuchautor Erfahrungen sammeln konnte, war dies sein Regiedebüt. Seinen letzten großen Erfolg hatte er als Autor des thematisch verwandten Films Shakespeare In Love (1998).

Die Handlung nachzuerzählen hieße natürlich auch, die Handlung von Hamlet zusammenzufassen. Dies sei möglichst kurz angerissen: Prinz Hamlet muß erfahren, daß sein Vater, der König von Dänemark, von dessen eigenem Bruder ermordet worden ist, dieser sich selbst auf den Thron befördert und zudem noch die Ehefrau des Getöteten (und Mutter von Hamlet) zu seiner eigenen Frau gemacht hat. Hinzu kommt, daß Hamlet vom Geist seines Vaters zur Blutrache an dem schändlichen Mörder aufgerufen worden ist. Zu dieser Rache ist Hamlet aber nicht fähig.
Durch diese Situation in tiefe Trauer und Verzweiflung gestürzt, begegnet Hamlet seiner Umwelt mit kryptischen, oft absurden Antworten und mit anderen undurchsichtigen Verhaltensweisen. Der jetzige König, dem nicht bewußt ist, daß Hamlet von seiner Tat Kenntnis hat, möchte den Grund seines rätselhaften Verhaltens herausfinden und läßt deswegen nach Rosenkranz und Güldenstern schicken. Sie sind alte Studienkollegen von Hamlet und sollen ihn auf andere Gedanken bringen - und ganz nebenbei für den König und die Königin ausspionieren.

Der Film beginnt mit der Reise von Rosenkranz (Gary Oldman) und Güldenstern (Tim Roth), die auf dem Weg zum königlichen Hof Elsinore sind. Schon auf der Reise häufen sich die warnenden Vorzeichen auf ihr nahendes Ende, die beide allerdings nicht deuten können. Sie treffen auf eine Gruppe von Wanderschauspielern, die sich ebenfalls auf dem Weg nach Elsinore befindet. Der Leiter der Schauspielgruppe (Richard Dreyfuss) hat den Überblick ("I know which way the wind blows!" verkündet er) und erklärt ihnen auch, wie die Dinge stehen: Kein Theaterstück ohne Blut und Tote. Im Verlauf des Films wird diese Gruppe den beiden Anti-Helden noch einige Male ihr eigenes Schicksal vorspielen und die werden immer wieder unfähig sein zu begreifen.

Die Charakterisierung dieser beiden Verlierertypen und deren wunderbare Darstellung durch die Briten Gary Oldman und Tim Roth ist mit Abstand das Faszinierendste an der ganzen Handlung. Beide, Oldman und Roth, ereilte leider danach in Hollywood das Schicksal des Type-Castings und wurden oft als (mehr oder weniger) schräge Bösewichte besetzt. Hier hatten sie noch die Möglichkeit, eine weitere Seite ihres Könnens zu zeigen.
Sie bilden ein eigentümliches Komiker-Team in der Tradition von Laurel & Hardy. Rosenkranz übernimmt die Rolle von Stan Laurel, er ist immer etwas langsamer und schwer von Begriff, läßt Güldenstern entscheiden und plappert ihm nach - im Gegensatz dazu steht, daß er fortlaufend die unglaublichsten Entdeckungen und Erfindungen macht, die sein "schlauer" Partner komplett ignoriert. Güldenstern hat somit die Funktion von Oliver Hardy, der sich für klüger hält und es eigentlich nicht ist. Oft kommt er besserwisserisch daher, stellt auch mal clevere Fragen und kann dann aber mit den Antworten nichts anfangen. Die Dialoge und Monologe der beiden schwanken zwischen totaler Sinnentleertheit und ansatzweise geistreichen Erkenntnissen, oft bleiben sie aber so absurd wie Aussagen von Beckett-Figuren.
Beide sind Narren, die zwar die Ereignisse mißtrauisch hinterfragen, aber doch nie einen Schritt weiterkommen. "We're going round in circles." (Wir bewegen uns immer im Kreis.) Die tragische Handlung läuft vor ihren Augen ab, doch die Zusammenhänge bleiben ihnen verborgen. Dabei sind sie so hilflos und unschuldig wie neugeborene Kinder, die mit großen Augen staunend auf die Welt blicken. Sie haben gleichsam die Neugier von Kindern und den Spaß am Spiel. Ständig haben sie vergessen, was gerade noch passiert ist, wo sie sind, wie sie dorthin kamen - und sogar, wie sie heißen.
Das mag nach nervtötender Dummheit klingen, doch kann man sich als Zuschauer kaum dem naiven Charme der beiden entziehen und wird sie entweder bemitleiden oder sich mit ihnen identifizieren.
Bei ihrer Ankunft auf Elsinore werden die zwei förmlich überrannt und mitgerissen. Nachdem sie von König und Königin stehengelassen wurden, sagt Rosenkranz mit einem Dackelblick: "I want to go home." Güldenstern antwortet fast tröstend: "Don't let them confuse you!" (Laß nicht zu, daß sie dich verwirren.) Rosenkranz' Bemerkung ist absolut nachvollziehbar, denn im Grunde hat sie ja keiner gefragt, ob sie die Figuren in einem Drama sein wollen und ob sie gerne die ihnen zugedachten Rollen spielen möchten. Auch am Ende ist es wieder Rosenkranz, mit der Schlinge um den Hals, der traurig feststellt: "Ich habe doch keinem etwas getan." Und Güldenstern fragt sich: "Irgendwo muß es einen Punkt geben haben, an dem wir hätten 'Nein' sagen können."
So werden hier geschickt sämtliche Themen des klassischen Hamlet aufgegriffen und leicht variiert: die Fragen nach dem Schein und Sein, was ist Wirklichkeit und was nur gespielt? Was ist der Tod und ist er vorherbestimmt? Ist alles nur Schicksal? Hatten Rosenkranz und Güldenstern überhaupt die Chance, ihrem Tod zu entrinnen?
Die faszinierende shakespearesche Idee vom "Stück im Stück" wird hier noch weitergeführt und verschachtelt, indem den Schauspielern auf der Bühne wiederum ein Puppenspiel vorgeführt wird.

Obwohl die Handlung also zu einem Großteil höchst komisch ist - man könnte es "philosophischen Slapstick" nennen - gibt es durchaus angemessen besinnliche und reflektierende Momente.
Beide Komponenten laden dazu ein, den Film so oft wie möglich zu sehen (ebenso wie das Original!), da man immer wieder Details entdecken kann. Die Textpassagen, in denen Rosenkranz und Güldenstern mit anderen Figuren des Stücks zusammentreffen, sind getreu dem Original entnommen, der Rest der Rahmenhandlung ist nur gerafft oder wird angedeutet, wie z.B. die finale Fechtszene, die in drei / vier Kameraeinstellungen gezeigt wird. Wir sehen nur skizzenhaft, wie der Becher zu Boden fällt und wie Hamlet tödlich getroffen wird.
Für Neueinsteiger ist der Film somit nicht geeignet. Ausreichende Kenntnis des Hamlet-Stoffes ist Voraussetzung. Dann steht dem Vergnügen aber nichts mehr im Wege. 

Jessica Ridders / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 


 
Filmdaten 
 
Rosenkranz und Güldenstern (Rosencrantz and Guildenstern Are Dead) 

GB 1990
Regie und Drehbuch: Tom Stoppard (nach seinem Theaterstück);
Darsteller: Gary Oldman (Rosenkranz), Tim Roth (Güldenstern), Richard Dreyfuss (Leiter der Wanderschauspieler), Joanna Roth (Ophelia), Iain Glen (Hamlet) u.a.; Schnitt: Nicolas Gaster; Kamera: Peter Biziou; Musik: Stanley Myers;

Länge: 117 Minuten; FSK: ab 12 Jahren



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