28.04.2008
Rebellin mit Kopftuch

Persepolis


"Weg mit dem Schah, weg mit dem Schah!" tönt es durch das Wohnzimmer, auch wenn Großmutter und Eltern zur Ruhe ermahnen. Marjane, bewaffnet mit einem Stirnband, streckt ihre Hand demonstrativ in die Höhe. In ihrer schwarz-weißen Welt gibt es zu viel zu entdecken, Geheimnisse, Abenteuer. Wenn sie ihrem Vater mit großen Augen zuhört, breitet sich vor ihre ein abendländisches Theaterspiel aus: Helden, Sieger, Könige. Der Fall in die brutale Realität der Islamischen Revolution ihrer Heimat Iran kommt schnell. Spätestens als ihre Eltern geschockt von einer Demonstration berichten, der sie knapp mit dem Leben entkommen sind. In einer schwarzen Blutlache liegt jedoch ein anderer. Das behütete Heim verliert seine Geborgenheit. In Geschichten gewinnt nun nicht mehr der auserkorene Held. Der weißbärtige Gott ist kein willkommener Gesprächspartner mehr.

Die Zeichnerin Marjane Satrapi erzählt ihrem Publikum mit klaren und scharfen Strichen von ihrer Kindheit im revolutions- und kriegserschütterten Iran. Viele einzelne Anekdoten reihen sich zu einer Lebensgeschichte auf. Für eine Rockkassette bezahlt sie beinahe mit dem Besuch bei der Anstandskommission, wäre da nicht die imaginäre böse Stiefmutter, die sie windelweich klopfen wollte. Während die Revolution ihre Kinder auffrisst und die Regale der Geschäfte leer räumt, findet Marjane immer weniger Nischen für ihre persönliche Rebellion. Indem sie die Tochter nach Wien schicken, hoffen ihre Eltern die politische Enge für ihr Kind zu überwinden. Die katholische Schule als Kontrastprogramm zur Islamisierung. Im Vergleich zum vorherigen Politik- und Religionsalltag sind scheinbare Banalitäten wie Kochen erste Hürden, die Marjane allein meistern muss. Der politische Käfig wird gegen die Einsamkeit der Emigration eingetauscht.

Doch genauso extrem wie ihr Hormonhaushalt tobt, verwüsten ihre Herkunft und die Sehnsucht nach der Heimat ihre Gedanken, bis sie schließlich auf dem psychologischen Kanapee landet. Im Gleichschritt zur Handlung verändern sich die Bilder. Die Pubertät erinnert an überzeichnete Animefiguren in skurril lustigen Episoden, während der Tod an der Heimatfront in Szenen demonstrativer Poetik seinen Ausdruck findet. Die Verzweiflung und Wut eines einsamen Mädchens treten gerade in dramatischen Zeichnungen deutlich zutage. Denn während Marjane sich von einer Bleibe zur nächsten durchschlägt, ihre ersten enttäuschenden Liebeserfahrungen macht und schließlich als krankes Straßenkind ins Krankenhaus kommt, tobt zu Hause der Krieg. Nach ihrer Rückkehr bringt die Heimat mit einer Therapie und einer Pillendose neue Kraft, aber auch die alten politischen Fesseln, denen sich Marjane mit Witz und Ironie stellt. Es geht nicht mit und nicht ohne sie: Heimat. Marjane flieht abermals und diesmal für immer. Der Versuch, einen Flieger gen Heimat zu besteigen endet mit Resignation.

Im Jahr 2000 erschien der erste gleichnamige Comicband, gefolgt von drei weiteren, in denen Satrapi begeistert von Spiegelmanns Maus seinen Stil in einem autobiografischen Comic nacheifert. Nachdem Satrapi zusammen mit ihrem französischen Lebensgefährten Vincent Paronnaud 2007 die kleine Marjane auf die Leinwand gebracht hatte, entging ihnen 2008 nur knapp der Oscar für den besten Animationsfilm. Obgleich die Politszene Irans unweigerlich eine große Rolle übernimmt, beteuert Satrapi, sich in Zeichnungen auf den Ausdruck konzentrieren zu wollen, der landunabhängig wirken soll. Gerade in der gestalterischen Trennung von Persönlichkeitsentwicklung eines rebellischen Mädchens und der Auseinandersetzung mit dem politischen Geschehen liegt die Stärke des Films. Satrapi setzt auf Schlichtheit, die die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf das Wesentliche lenkt. Dabei vermag sie gezielte Nuancen ihrer eigenen, facettenreichen Entwicklung dem Zuschauer näher zu bringen. Eine beeindruckende Selbstanalyse, die bewegt.  

Margarethe Padysz / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Persepolis (Persepolis) 
 
Frankreich / USA 2007
Regie: Vincent Paronnaud, Marjane Satrapi;
Deutsche Synchronsprecher: Jasmin Tabatabai (Marjane), Nadja Tiller (Mamie), Eva Kryll, Hanns Zischler u.a.; Drehbuch: Vincent Paronnaud, Marjane Satrapi; Produktion: Xavier Rigault, Marc-Antoine Robert; Co-Produktion: Tara Grace; Musik: Olivier Bernet; Länge: 96 Minuten; deutscher Kinostart: 22. November 2007



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<28.04.2008>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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