21. Juni 2001
Bomben auf einen trügerisch paradiesischen Frieden
Pearl Harbor
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Seit "Casablanca", Michael Curtiz' Klassiker aus dem Jahr 1942 über den Widerstand gegen die Nazis, versuchen sich Filmemacher stets aufs Neue an einem Film epischer und epochaler Größe, in dem ein geschichtliches Großereignis mit einer Liebesgeschichte kombiniert wird, deren Tragik die Tragik der Historie begleitet. Zuletzt war das in "Titanic" (1998) der Fall - der Erfolg an den Kinokassen ist noch in bester Erinnerung. "Pearl Harbor"-Regisseur Michael Bay verfährt nach dem gleichen Schema. Die Idee, das Desaster von Pearl Harbor mit einer Romanze zu verbinden, fällt allerdings unausgegoren aus.
"Jeder Anti-Kriegsfilm ist auch ein Kriegsfilm", hat Stanley Kubrick einmal nicht zu Unrecht gesagt. Deswegen ist es in "Pearl Harbor" zunächst angenehm, dass der Film eingangs Begeisterung für das Militärische gar nicht erst leugnet, um später in der fast totalen Zerstörung der amerikanischen Pazifik-Flotte lähmendes Entsetzen über die brutale Seite eines Krieges detailliert aufzuzeigen und dann aber mit übertrieben heldenhaft-patriotischem Eintreten der Soldaten für ihr Land schließlich zu enden.
Mit einem Budget von 140 Millionen Dollar gelang es zwar der Produktionsfirma Buena Vista International, die Erschütterung der betroffenen Soldaten allegorisch auch für die sich weitgehend im Frieden vermutende amerikanische Nation darzustellen: Der US-Stützpunkt auf dem Paradies Hawaii wird in einer sich über 40 Minuten Lauflänge des Films erstreckenden Szene zerstört, Echtzeit wird durch das drastische Zeigen jeder Einzelheit suggeriert, vom Anflug der japanischen Flieger in langer, menetekelhaft ruhiger Einstellung über die ersten Bomben, die jedem Schiff schweren bis Schwerstschaden zufügen, bis zu den Verwundeten, über deren Schicksal letzten Endes die überlebenden Krankenschwestern zu entscheiden haben durch das Auswählen der weniger stark Verletzten in der Eile der Zeit. Einfallsreich entwickelte "Braveheart"-Drehbuchautor Randall Wallace einen dreiviertel-Stunden-Takt an Zäsuren für den Film: Rafes Abschuss über dem Atlantik ist ebenso ein Einschnitt wie das Bombardement an sich wie Präsident Roosevelts daraufhin erfolgende Kriegserklärung. Die Intensität der Angriffsszenen und die rechnerisch durchdachte Planung des Drehbuchs sind aber die einzigen Merkmale, die diesem Film einen unverwechselbaren Charakter geben. Die Ménage à trois von Rafe, Evelyn und Danny ist wie ein Beiwerk um das Desaster von Pearl Harbor herumgelegt, mit dem historischen Angriff selbst nicht zusammenpassend, gleichzeitig sehr konventionell und ohne Überraschungen. Der Zusammenhang der Geschichte um das Dreieck Rafe, Evelyn und Danny mit dem Krieg wird bemüht hergestellt mit patriotisch unbotmäßig heldenhaften Elementen: Rafe und Danny holen noch während des Angriffs japanische Maschinen vom Himmel und werden auch bei der Racheattacke der Amerikaner auf Japan dabei sein - was daran erinnert, dass Produzent Bruckheimer auch für "Top Gun" einst verantwortlich gezeichnet hat: Amerikanische Soldaten sind Helden ohne Furcht und Tadel. Das von Buena Vista herausgegebene Pressematerial zu "Pearl Harbor" stellte zu hohe Ansprüche gerade an das im Film erzählte Dreiecksverhältnis: Als "die leidenschaftlichste Liebesgeschichte seit dem Film mit dem Eisberg" wird die Produktion dort bezeichnet. Um den Eindruck der hohen Messlatte zu relativieren, wird der Satz "von Spöttern als 'Titanic mit Bomben' bezeichnet" im folgenden Abschnitt nachgeschoben. James Camerons Film über den Untergang des als unsinkbar bezeichneten Schiffes stand zu deutlich Pate für "Pearl Harbor", zu deutlich sind die angestrengten Bemühungen der Macher von "Pearl Harbor", dem Vorbild an Bedeutung und Einspielergebnis in nichts nachzustehen. "Titanic" wird regelrecht zitiert, wenn das US-Schlachtschiff "USS Arizona" während des Bombenhagels auf die Seite kippt und sich Teile der Besatzung im 90 Grad-Winkel am untergehenden Schiff verzweifelt festzuhalten versuchen. Trotz des prächtigen tricktechnischen Aufwands, mit dem die Zerstörung Pearl Harbors detailliert beschrieben wurde, kann der Film die geschichtlichen Ereignisse nicht korrekt wiedergeben: Der neueste wissenschaftliche Stand der Historiker weist Präsident Roosevelt als bereits vor dem Angriff auf Pearl Harbor informiert aus; der Film schildert das explizit anders. Die 2400 Opfer auf Oahu dienten der obersten Führung der USA, ihr kriegsdesinteressiertes Volk umzustimmen. "Pearl Harbor" muss sich dahingehend den Vorwurf der Geschichtsklitterung gefallen lassen.
Michael Dlugosch
/ Wertung:
* *
(2 von 5)
Filmdaten Pearl Harbor (Pearl Harbor) USA 2001 Regie: Michael Bay; Drehbuch: Randall Wallace ("Braveheart", 1996); Produzenten: Jerry Bruckheimer, Michael Bay; Kamera: John Schwartzman; Schnitt: Chris Lebenzon, Steven Rosenblum, Mark Goldblatt; Kostüme: Michael Kaplan; Musik: Hans Zimmer; Casting: Bonnie Timmerman; Darsteller: Ben Affleck (Rafe McCawley), Josh Hartnett (Danny Walker), Kate Beckinsale (Evelyn Johnson), Cuba Gooding Jr. (Doris 'Dorie' Miller), William Lee Scott (Billy), Greg Zola (Anthony Winkle), Tom Sizemore (Earl), Ewen Bremner ("Trainspotting"; Red), Jon Voight (Präsident Franklin Delano Roosevelt), Alec Baldwin (General Doolittle), James King (Betty), Catherine Kellner (Barbara), Jennifer Garner (Sandra), Michael Shannon (Theo), Matthew Davis (Joe), Mako (Adm. Yamamoto), Colm Feore (Adm. Kimmel), Dan Aykroyd (Capt. Thurman), William Fichtner (Dannys Vater), Daniel Mays (Pilot), John Diehl u.a.; Länge: 183 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Buena Vista International; deutscher Kinostart: 7. Juni 2001
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