17.04.2014
Joint Venture

Paulette


Paulette (Bernadette Lafont) ist 80 Jahre alt, Witwe, aber rüstig und grantig. Sie wohnt in einer zwielichtigen Pariser Trabantenvorstadt. Nach der Schließung der Konditorei ihres Mannes ging es ihr immer schlechter, nun muss sie mit der Mindestrente von 600 Euro auskommen. Wie schön alles früher war, zeigt eine in Sepiafarben getauchte Rückblende auf die Ehe und das erfolgreiche Geschäft mit den Backwaren. Ihre drei Freundinnen Maria, Lucienne und Renée, mit denen sie Karten spielt, behandelt sie genauso ruppig wie ihre Nachbarn und ihre Tochter Agnès, zumal die mit Ousmane verheiratet ist, einem schwarzen Kommissar. Den kleinen Enkel Léo beaufsichtigt sie nur widerwillig, sie mag ihn nicht, "weil er ein Schwarzer ist". Die "Ausländer" sind in ihren Augen an der ganzen Misere schuld.

Zufällig gerät der verbiesterten Rentnerin ein Päckchen Marihuana in die Hände, es fällt geradezu vom Himmel, und da hat sie eine Idee: Sie wird Drogendealerin! Als ehemalige Bäckerin stellt sie problemlos mit Cannabis gefüllte Kuchen und Plätzchen her ("space cakes"), die bei den Kunden reißenden Absatz finden. Ihr Einstieg ins Drogengeschäft bringt das Machtgefüge im Pariser Haschischhandel gehörig durcheinander. Vito, der Dealer, der ihr die Droge liefert, ist begeistert. Er wird allerdings vom obersten Boss Taraz entmachtet, Paulette soll ihn ersetzen. Als Taraz aber den Handel auf Grundschulkinder ausdehnen will, möchte Paulette nicht mehr mitmachen. Daraufhin wird der kleine Léo auf Befehl von Taraz durch Vito entführt. Die gefährliche Lage wird durch Schwiegersohn Ousmane geklärt. Die Frauen kommen mit einer Bewährungsstrafe davon. Schlusspointe: Im liberalen Amsterdam wird der Handel mit Drogengebäck fortgesetzt, in einer Bäckerei!

Dies ist ein herrlicher, erfrischender Film. Großartig ist das komödiantische Talent Bernadette Lafonts (die leider eine Woche nach dem deutschen Kinostart im Juli 2013 verstorben ist). Sie spielt die Hauptrolle der kratzbürstigen Paulette cool, aber mit Verve. Ihre politisch unkorrekte Bissigkeit sorgt immer wieder für gute Gags, beispielsweise im Beichtstuhl, wo sich zwischen dem schwarzen Pfarrer und Paulette folgender Dialog ergibt: "Sie dürfen nicht alle Ausländer für Ihr Unglück verantwortlich machen!" – "Aber ich spreche doch nicht von Ihnen, Vater Baptiste. Sie hätten es wirklich verdient, weiß zu sein!" Paulettes vergessliche Freundin Renée wird von ihr mit dem Spitznamen "Alzheimer" belegt, ihren Enkelsohn nennt sie "Bimbolein". Erstaunlich ist dann im Laufe der Handlung die sympathische Veränderung der Hauptfigur. Sie kümmert sich mehr um die Familie, geht mit ihrem Nachbarn Walter essen (in das asiatische Restaurant, das sich in ihrer früheren Konditorei befindet und wo sie aus Bosheit schon mal Kakerlaken ausgesetzt hat), und ihre Vorurteile gegenüber Ausländern legt sie auch noch ab.

Eine "Botschaft" hat diese unterhaltsame Komödie durchaus, abgesehen von der Banalität, dass natürlich die Ausländer nicht an allem schuld sind. Das wusste man als Zuschauer auch schon vorher. Aber wie im Megahit "Ziemlich beste Freunde" (2011) wird die Möglichkeit der Überwindung sozialer und ethnischer Grenzen aufgezeigt. Den Vorwurf, dass Drogenhandel verharmlost wird, kann man dem Film nicht machen. Dazu wird das kriminelle Milieu zu eindeutig charakterisiert. Ähnlich wie im Film "Grasgeflüster" (2000) aber wird vorgeführt, dass man auch an diesem Thema durch groteske Überspitzung viele heitere Seiten aufdecken kann.

In Frankreich erreichte der Film ein Millionenpublikum, in Deutschland wurden im Jahre 2013 eine halbe Million Zuschauer gezählt.  

Manfred Lauffs / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Paulette (Paulette) 
 
Frankreich 2012
Regie: Jérôme Enrico;
Darsteller: Bernadette Lafont (Paulette), Carmen Maura (Maria), Dominique Lavanant (Lucienne), Françoise Bertin (Renée), André Penvern (Walter), Ismaël Dramé (Léo), Jean-Baptiste Anoumon (Ousmane), Axelle Laffont (Agnès), Paco Boublard (Vito), Pascal Nzonzi (Vater Baptiste), Miglen Mirtchev (Taraz) u.a.;
Drehbuch: Jérôme Enrico, Bianca Olsen, Laurie Aubanel, Cyril Rambour; Produktion: Alain Goldman; Kamera: Bruno Privat; Musik: Michel Ochowiak; Schnitt: Antoine Vareille;

Länge: 87,03 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Neue Visionen Filmverleih GmbH; deutscher Kinostart: 18. Juli 2013



Artikel empfehlen bei:  Mr. Wong Delicious Facebook  Webnews Linkarena  Hilfe

© filmrezension.de

home
  |  regisseure/schauspieler   |  e-mail
 über uns  |  impressum  


 
 
 
 
 
Homepage des Verleihers
<17.04.2014>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

Drucken

Artikel empfehlen
Mr. Wong Delicious Facebook Webnews Linkarena 
Hilfe