27.02.2016
Ein Film der 66. Berlinale 2016, Sektion Generation Kplus

Ottaal


Für klassische Stoffe hat Regisseur Jayaraj eine Vorliebe. Nach "Macbeth" und "Othello" verlagert der indische Filmemacher nun Anton Tschechows Kurzgeschichte "Wanka" in die Gegenwart. Die Vorlage in Briefform ist ein bedrückender Einblick in das Leben von Kinderarbeitern und hat auch 130 Jahre später nichts an Aktualität eingebüßt.

OttaalIn der Millionenstadt Kerala sind Selbstmorde keine Seltenheit. Auch die Eltern des kleinen Kuttapayi (Ashanth K. Sha) wussten keinen anderen Ausweg aus ihrer finanziellen Misere, als sich das Leben zu nehmen. Der aufgeweckte Junge jedoch hat Glück im Unglück gehabt. Bei seinem liebevollen Großvater Kunjootty (Kumarakom Vasudevan) hat er ein neues Zuhause gefunden. Kuttapayi hilft dem alten Mann bei der Entenzucht und zieht an seiner Seite mit den Wandervögeln entlang des Flusslaufes. Während des vorübergehenden Aufenthalts in Kuttanadu lernt Kuttapayi den gleichaltrigen Tinku (Hafis Muhammed) kennen. Obwohl Tinku aus einer wohlhabenden Familie stammt, werden die beiden Freunde. Trotz der strengen Klassengesellschaft in Indien begegnet Tinkus Mutter dem Spielkameraden ihres Sohnes mit Wärme und hat nichts gegen die Kameradschaft der Jungen einzuwenden. Kattapayi hilft Tinku bei den Schulaufgaben und findet das Lernen so interessant, dass er selbst den Wunsch entwickelt zur Schule zu gehen. Der Traum scheint in Erfüllung zu gehen, als sein Großvater ihn eines Tages weit weg in eine andere Stadt schickt. Doch der zwielichtige Arbeiterwerber Mesthiri (Shine Tom Chacko) bringt den kleinen Jungen nicht in ein Internat, sondern eine Feuerwerksfabrik.

Ottaal Das einzige, was Kuttapayi dort lernt, ist zu schuften – so wie die anderen Kinder, die sich dort verdingen. Kunjootty hat im Wissen, dass er nicht mehr lange leben wird, seinen Enkelsohn zum Arbeiten geschickt. Seine verzweifelte Hoffnung, der Junge könne sich zumindest eine materielle Absicherung schaffen, erfüllen sich nicht. In der Fabrik werden die Kinder in einem fort ausgebeutet und misshandelt. Doch Kuttapayi will die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgeben. Die Rollen der einfachen Story sind großteils mit Laiendarstellern besetzt. Allerdings merkt man ihnen die schauspielerische Unerfahrenheit leider oft an. So wirken besonders die Szenen, in denen die Protagonisten interagieren, meist gekünstelt. Die Dramatik schlägt nicht selten in Sentimentalität um. Von der stillen Ausdrucksstärke der Vorlage ist der ambitionierte Kinderfilm weit entfernt. Tschechow schrieb seine Kurzgeschichte als Gesellschaftskritik in einem Jahrhundert, in dem Kinderarbeit die Norm war und Schulbildung ein Privileg der Reichen. "Ottaal" hingegen geht mit allzu viel optimistischer Leichtigkeit über die Probleme von Indiens Kasten-Gesellschaft hinweg. Das staatliche Versagen, welches Kinderarbeit in weitläufigem Ausmaß überhaupt erst ermöglicht, spart die Handlung weitgehend aus. Vernachlässigt wird zudem die verbreitete indirekte Akzeptanz von Kinderarbeit in der westlichen Welt, die Produkte aus Kinderarbeit und Sklaverei kauft. Das Leiden des kleinen Protagonisten scheint auf der Leinwand eher das Werk gemeiner Einzeltäter.

Tatsächlich ist es die Folge eines skrupellosen Produktionsnetzwerks, das hier bei uns in nahezu jedem Supermarkt und Kaufhaus präsent ist. Ein Umdenken bei den Zuschauern wird der jüngste Film von Jayaraj, der sich als nächstes Dostojewski vorgenommen hat, wohl kaum bewirken. Das Geld für die Kinokarte lässt sich auch besser investieren. Zum Beispiel in Fair Trade.  

Lida Bach / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Berlinale

 
Filmdaten 
 
Ottaal (Ottaal) 
 
Indien 2015
Regie: Jayaraj Rajasekharan Nair;
Darsteller: Ashanth K Sha (Kuttappayi), Kumarakom Vasavan (Valyappachayi), Shine Tom Chacko (Mesthiri), Sabitha Jayaraj (Bettys Frau), Thomas J Kannampuzha (Betty), Hafis Muhammed (Tintu) u.a.;
Drehbuch: Jayaraj Rajasekharan Nair, Joshy Mangalath nach einer Kurzgeschichte von Anton Tschechow; Produzenten: K Mohanan, Vinod Vijayan; Kamera: MJ Radhakrishnan; Musik: Kavalam Narayana Panicker; Schnitt: B Ajithkumar;

Länge: 81 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt



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Der Film im Katalog der Berlinale
<27.02.2016>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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