deutscher Kinostart: 4. August 2005 Rezension publiziert: 6. April 2005 Einfühlsamer Film über Gewalt in der Ehe Öffne meine Augen
Orpheus hat
seine Euridike der Unterwelt entrungen und nun ist er mit ihr auf dem Rückweg.
Doch seine Selbstbeherrschung reicht nicht aus, er dreht sich nach der
geliebten Frau um und stürzt sie so erneut in den Tod.
Liebevoll und kenntnisreich erzählt Pilar (Laia Marull) ihrem Sohn Juan (Nicolás Fernández Luna) die antike Sage anhand eines Gemäldes. Sie probiert sich an ihrem Filius als Kunstführerin aus, denn sie steckt mitten in der Ausbildung. Die mythologische Liebesgeschichte spiegelt aber auch ihr eigenes Schicksal, denn auch ihr Mann Antonio (Luis Tosar) hat ein Problem mit seiner Selbstbeherrschung, auch er kann es nicht ertragen, wenn er den Überblick verliert. Dann rastet er aus, unterstellt seiner Frau all die schlechten Taten, die sein kümmerliches Ego ausbrütet. So ist denn auch die ruhige Szene mit der Bildbeschreibung erst in der Mitte des Films möglich. Die Geschichte beginnt mit nackter Panik: Mitten in der Nacht packt Pilar das Nötigste zusammen, reißt Juan aus dem Schlaf und flüchtet mit ihm zu ihrer Schwester Ana (Candela Peña). Erst im Schutze des Asyls, das Pilar bei der jüngeren Schwester und deren Bräutigam John (Dave Mooney) findet, kommt sie langsam zu Ruhe und Sicherheit. Nach seiner ersten Aufregung über die Flucht seiner Frau kommt auch Antonio zur Besinnung, fasst ernsthaft den Willen sich zu ändern und beginnt sogar eine Therapie. Pilar nimmt in der Zwischenzeit eine Job als Souvenir- und Ticket-Verkäuferin in einer Kirche an, in der ihre Schwester als Restauratorin arbeitet. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen beginnt sie schließlich eine Ausbildung zur Museumsführerin. Ihr neues Leben gefällt ihr, einerseits, doch andererseits sehnt sie sich nach Antonio, den sie - trotz allem - liebt. Während Pilars Mutter, die selber als Ehefrau Opferstatus hatte, die Aussöhnung von Antonio und Pilar forciert, rät Ana, die mitten in Hochzeitsvorbereitungen steckt, der großen Schwester zur Scheidung. Pilar, hin- und hergerissen zwischen Liebe und Angst, lässt sich in kleinen Schritten wieder auf Antonio ein und kehrt schließlich, an Anas Hochzeitstag, in die gemeinsame Wohnung zurück. Wie über dem Haupt des Damokles, schwebt aber über dem fragilen Frieden der zu befürchtende Rückfall Antonios. Regisseurin Icíar Bollaín, die auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, zeigt die Geschichte über Gewalt in der Ehe zwar mit leicht pädagogischem Impetus, aber ohne jede Aufdringlichkeit. Stück für Stück legt sie die inneren Konflikte der Protagonisten frei. So erfährt der Zuschauer, dass Antonios Gewalt letztlich in seiner Schwäche und seinem geringen Selbstbewusstsein wurzelt. Als billiger Verkäufer im väterlichen Küchenfachgeschäft fristet er ein frustrierend perspektivloses Dasein. Er hält sich selbst für einen Versager und der Liebe seiner Frau für unwürdig. Pilars Untreue scheint also vorprogrammiert - so funktioniert Antonios kranke Logik. Indem Bollaín diese Hintergründe sichtbar macht, zieht sie den Zuschauer auf Pilars Seite, ohne Antonio zu verteufeln - was ja auch Pilar nicht vermag. Sowohl bei der Dynamik des Konflikts, als auch bei den Therapieszenen - Antonio nimmt an Gruppen- und Einzelgesprächen teil, offenbart die Regisseurin und Autorin ein erhebliches psychologisches Wissen. Zuletzt war das so überzeugend 1997 in dem Dogma-Film "Das Fest", des Dänen Thomas Vinterberg zu sehen. "Öffne meine Augen" ist keine leichte Kinounterhaltung, aber ein
spannender, erotischer und mitreißender Film. "Öffne meine Augen"
ist ein sehr spanischer Film, doch die Konflikte die er zeigt, zwischen
Müttern und Töchtern, zwischen Geschwistern, zwischen Eheleuten,
zwischen dem Privatleben und der neugierigen Öffentlichkeit, sind
mindestens von europäischer, wenn nicht globaler Relevanz.
Frank Zimmermann /
Wertung: *
* * * (4 von 5)
Quelle der Fotos: timebandits films Filmdaten Öffne meine Augen deutscher Arbeitstitel: ¿Alles Liebe? (Te doy mis ojos) Titel für den englischsprachigen Markt: Take my Eyes Spanien 2003 Regie: Icíar Bollaín; Darsteller: Laia Marull (Pilar), Luis Tosar (Antonio), Candela Peña (Ana), Rosa Maria Sardá (Aurora, Pilars Mutter), Nicolás Fernández Luna (Juan), Sergi Calleja (Therapeut), Dave Mooney (John) u.a.; Drehbuch: Icíar Bollaín, Alicia Luna; Produktion: Santiago García de Leániz; Co-Produktion: Enrique Gonzáles Macho; Schnitt: Ángel Hernández Zoido; Kamera: Carles Gusi; Musik: Alberto Iglesias; Länge: 107 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von timebandits films
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