09.10.2009
Gedenke des Tages

Oben


Oben Es passiert selten, dass in Cannes, wo Kino sich als Kunst feiert, ein Animationsfilm die Filmfestspiele eröffnet. Genau genommen ist es bisher nur einmal geschehen: Pixars "Oben" kam im Mai diese Ehre zuteil, trotz aufsehenerregender Konkurrenten wie "Antichrist" und "Inglourious Basterds". Warum das eine sehr gute Wahl war, erklärt unsere Rezension.

Die modernen Märchen aus dem Hause Disney (bzw. dessen Tochter Pixar) oder Dreamworks sind keine reinen Kinderfilme. Unter der Schicht aus Klamauk, liebenswürdigen Charakteren und Effekthascherei ist mehr als die junge Zielgruppe erfassen kann: Da werden Klassiker wie "King Lear" interpretiert wie in Disneys "König der Löwen", entgegengesetzte Gesellschaftsentwürfe in die Waagschale geworfen ("Das große Krabbeln") oder Ikonen der Popkultur verballhornt ("Shrek"). Das ist marketingtechnisch clever – warum sollten Mama und Papa nicht auch einen Film anschauen wollen, den gar die Feuilletons loben?

Diese Strategie hat tatsächlich zu beachtlichen Filmen geführt, unter denen "Oben" den bisherigen Höhepunkt darstellt. Schon "Wall E", Pixars Animationsfilm von 2008, legte die Messlatte ein wenig höher, indem er das ernste Thema Umweltzerstörung aufgriff und mit einer kurzweiligen Abenteuer- und Liebesgeschichte verband. In diesem Jahr geht es um ein anderes Großthema, die Alterung, aber eigentlich um noch mehr: die Kürze des Lebens und wie damit umzugehen ist.

ObenEin alter, grantiger Kauz ist der Held in "Oben". Vom Altenheim bedroht entschließt sich Carl Fredricksen mitsamt seinem Haus Richtung Südamerika zu fliehen. Mithilfe tausender Luftballons hebt das Haus ab und käme unbeschadet an, wäre da nicht ein blinder Passagier an Bord. Der pummelige Pfadfinder Russell bringt den Alten nicht nur auf Trab, sondern sorgt dafür, dass dieser im Nachhinein die Versäumnisse seines Lebens korrigiert – "Carpe diem!" statt Aufschub bis zum Tod.

Doch das allein macht noch nicht das Meisterwerk. Es ist vielmehr der vollendete Beginn von "Oben", der eine andere Saite anklingen lässt. In weniger als einer Viertelstunde wird das Leben des Ehepaars Fredricksen erzählt. Anrührend und mit lebensphilosophischer Tiefe zeigt der Film, wie Carl als Junge seiner Ellie begegnet und beide den Plan schmieden, nach Südamerika aufzubrechen. Dieser gemeinsame Traum gerät indes zwischen den Alltag und die Wechselfälle des Lebens und wird irgendwann als Reliquie im Wohnzimmer vergessen, während das Ehepaar ergraut. Als dann im Rentenalter der alte Traum wiederaufblitzt, da nimmt ein grausamer Zufall die Möglichkeit dazu. Ellie erleidet einen Anfall und geht schließlich dahin, ein in sich gekehrter, menschenfeindlicher Carl bleibt zurück.

Und so erlebt der Kinozuschauer einen jener seltenen, ja magischen Momente im Kino: Es wird still im Saal. Kein Lachen, kein Popcorn, kein Kommentar. Einfach nur Stille angesichts eines so geschickt eingeflochtenen Emblems, dass es dem Barock alle Ehre macht. Nur an der Katharsis des Films hätte sich ein Andreas Gryphius gestört. Weder ein morbides "memento mori" noch ein einfaches "carpe diem", sondern ein pragmatisches "memento dies", sei des Tages eingedenk: Das Leben ist kurz, leicht zu kurz für manchen Traum, aber jeder Tag ist ein großes Abenteuer und sei es auch nur der Alltag mit einem geliebten Menschen.  

Thomas Hajduk / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Disney

 
Filmdaten 
 
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USA 2009
Regie: Pete Docter, Bob Peterson;
Deutsche Sprecher: Karlheinz Böhm (Carl), Dirk Bach (Dug) u.a.; Sprecher im Original: Edward Asner, Christopher Plummer, Jordan Nagai, Bob Peterson, Delroy Lindo u.a.; Drehbuch: Pete Docter, Bob Peterson nach der Story von Pete Docter, Bob Peterson und Thomas McCarthy; Produktion: Pixar Animation Studios; Produzent: Jonas Rivera; Musik: Michael Giacchino; Länge: 96 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih von Disney; deutscher Kinostart: 17. September 2009

Auszeichnungen:

67. Golden Globes 2010:
Preis als Bester Animationsfilm

82. Academy Awards 2010:
Preis als Bester Animationsfilm



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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