31.05.2021

Jakobs Weg durch seine Seele - ein visueller Rausch

Nevrland

Orientierungslos am Ende der Jugend, unerfahren im Küssen, im Sex – dies gilt für den 17-jährigen Jakob (Simon Frühwirth). Fleischeslust? Er muss sich zunächst um eine andere Art von Fleisch kümmern, er erhält durch seinen Vater (Josef Hader) einen Job im Schlachthof. Jakob muss Schweinehälften waschen. Des Nachts geht er auf Porno- und Schwulen-Community-Seiten. Bis ihm Angstattacken zusetzen.
Regisseur und Drehbuchautor Gregor Schmidinger kann in seinem Langfilmdebüt diese Ängste, unter denen er selber litt, nicht gut vermitteln, sie bleiben eine Behauptung. Aber den Drogentrip, den Jakob durchmachen wird gemischt mit psychisch bedingten Wahnvorstellungen, den stellt Schmidinger prächtig dar. Dann entfaltet "Nevrland" eine ungeheure Sogwirkung. Jakobs Weg durch seine Seele wird dann zu einem visuellen Rausch, dem sich das Kinopublikum nicht entziehen kann.

"Was ist Kunst?" Jakob weiß es nicht. "Kunst ist Ausdruck Deiner Seele." Jakob hat nun ein Problem mit seiner Seele: Panikattacken. Welches Kunstwerk gefalle ihm, wird Jakob dann gefragt. Sein Blick fällt auf eine Dionysos-Statue. "Vielleicht gefällt sie Dir, weil sie nackt ist."

Sie lernen sich nach einem flüchtigen Kontakt im Internet im Kunstmuseum näher kennen, Jakob und der etwas ältere Kristjan (Paul Forman), ein Kunststudent. "Dionysos ist der Gott des Rausches", erklärt Kristjan. "Nevrland" ist ein einziger Rausch, so hat ihn Gregor Schmidinger angelegt. Jakob schaut Pornoseiten an, Fleisch pur, muss im Schlachthof Schweinehälften waschen, Fleisch pur. Bald darauf erbricht Jakob, bald darauf bricht er zusammen. Ohnmacht. Organisch ist er in Ordnung, seine Seele ist angegriffen. Davon will der Vater nichts wissen, er kann mit psychisch kranken Menschen nicht umgehen; er wird mal die Medikamente seines Sohnes in den Mülleimer werfen. Jakob ist allein auf sich gestellt.

Ist der Film vom Start weg latent als psychedelischer Rausch angelegt, wird er sich darin manifestieren: kulminierend in der von Kristjan verabreichten Droge DMT, die Halluzinationen auslöst. Jakob geht auf Drogentrip, wird nicht mehr wissen, was Realität und was Wahn ist, wird seinem erwachsenen Ich und seinem kindlichen Ich begegnen, wird den Ausgang schlussendlich finden, so dass der Film an den Anfang springt, als der 17-Jährige halbnackt durch den Wald läuft und von einer Klippe ins Wasser springt. Drogen sollte man als psychisch Kranker keinesfalls nehmen. Der Film zeigt, was dann passiert. In den erzeugten Sog des Films wird das Publikum hineingezogen. In großartiger Form. Lediglich die Panikattacken, und wie sie einen Patienten quälen können, bleiben unerklärt. Aber der Filmnachwuchs Österreichs ist um ein Talent, Gregor Schmidinger, reicher. Denn er inszeniert seinen Film kraftvoll.

Beim Filmfestival Max Ophüls Preis 2019 in Saarbrücken erhielt "Nevrland" zwei Preise: die Auszeichnung der Schülerjury und die Auszeichnung des Besten Nachwuchsdarstellers. Der in Saarbrücken anwesende Til Schweiger ließ es sich nicht nehmen, Simon Frühwirth den Preis zu überreichen, ein Preis, der verdient ist.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5)



Filmdaten

Nevrland
(Nevrland)

Österreich 2019
Regie & Drehbuch: Gregor Schmidinger;
Darsteller: Simon Frühwirth (Jakob), Paul Forman (Kristjan), Josef Hader (Vater), Wolfgang Hübsch (Großvater), Anton Noori (Murat), Markus Schleinzer (Psychotherapeut), Nico Greinecker (kleiner Junge) u.a.;
Produzent: Ulrich Gehmacher; Kamera: Jo Molitoris; Musik: Gerald Vdh; Schnitt: Gerd D. Berner;

Länge: 88 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; deutscher Kinostart: 17. Oktober 2019



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