10. Januar 2007
Reine Schtonksache
Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler ![]() Kurt Tucholsky stellte die rhetorische Frage, Was darf Satire? und beantwortete sie sogleich: Satire darf alles. Der deutsche Publizist jüdischen Glaubens starb, geflüchtet vor dem Dritten Reich im schwedischen Exil zehn Jahre vor Hitler. Hätte er länger gelebt und die Begriffe Reichsprogromnacht, Zweiter Weltkrieg, Auschwitz erfahren und verinnerlicht: Er hätte seine Formulierung spezifiziert. Marcel Reich-Ranicki, Deutschlands Literaturpapst, Überlebender des Warschauer Ghettos, urteilte nach "Der Untergang": Hitler könne sehr wohl als Mensch dargestellt werden: Als was denn sonst? Sehr wahr, die Formulierung. Das Wagnis, Hitler in Prosa oder auf Zelluloid darzustellen bedeutet aber, Regeln einzuhalten. "Der Untergang" kümmerte sich nicht sonderlich um sie. "Mein Führer" kann man als Dani Levys Antwort auf "Der Untergang" verstehen. Hitler: ein in Wirklichkeit kaputter Charakter. Nach einer ersten Vorführung von "Mein Führer" schnitt Levy seinen Film um. Kritisiert worden war, dass wieder Hitler in den Mittelpunkt gestellt wurde. Entfallen sind ein Prolog und Epilog eines über 100-jährigen Hitlers, der die Zeit damals Revue passieren lässt. Mehr dazu eines Tages auf DVD.
Levy hat sich für seine Charakterisierung Hitlers auf die Forschungsarbeit "Am Anfang war Erziehung" (1980) von Alice Miller berufen. Die untersuchte Hitler und bemerkte: Hitler wurde von seinem Stiefvater geschlagen. Er musste so werden, wie er wurde, musste die Brutalität anschließend weitergeben. Das alles beichtet der Levy-Hitler seinem "Therapeuten" Grünbaum. Was Helge Schneider, kurz vor Kinostart genervt von Interviews mit Bitte um Stellungnahme, sich von Levys Film distanzieren ließ. Er wolle Hitler so nicht verstanden wissen, als Menschen, für den man Verständnis aufbringen könne: Es gebe ja auch Menschen, die, vom Vater geschlagen, nicht zu Hitlers wurden. Recht hat Schneider, und Dani Levy hat sich in seiner Intention vergaloppiert. Zu komplizierte Psychologisierung kann angehen, aber sie ist weniger sinnvoll bei Komödien, gar nicht sinnvoll bei Komödien, die sich am kompliziertesten Thema deutscher Historie versuchen.
Aber Levys Film verharmlost nicht. Das Konzentrationslager Sachsenhausen wird mitsamt Insassen in die Handlung perfekt, weil angemessen einfühlsam integriert, der Jude Grünbaum mit viel Einfühlung begleitet auf seinem Martyriumsweg ohne Wiederkehr in die Reichskanzlei. Goebbels und die anderen Spießgesellen sind entweder gefühlskalte Karrieristen, Mitläufer oder tumbe Toren, aber wie dem immer sei, sie sind Teilstücke eines nicht übertrieben dargestellten und damit umso expressiveren Gruselkabinetts. Durch Dani Levy empfinden wir zwar versehentlich auch Mitgefühl für die tragische Figur Hitler - sehen ihn als Menschen, der er war, aber dank Dani Levy sehen wir ihn als Menschen, von dem man nicht hätte "geführt" werden wollen.
Michael Dlugosch /
Wertung:
* * * (3 von 5)
Quelle der Fotos: X-Verleih Filmdaten Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler Deutschland 2006 Regie: Dani Levy; Darsteller: Helge Schneider (Adolf Hitler), Ulrich Mühe (Prof. Adolf Grünbaum), Sylvester Groth (Dr. Joseph Goebbels), Adriana Altaras (Elsa Grünbaum), Ulrich Noethen (Heinrich Himmler), Stefan Kurt (Albert Speer), Lambert Hamel (Obergruppenführer Rattenhuber), Ilja Richter, Lars Rudolph, Katja Riemann, Meret Becker, Marion Kracht, Hinnerk Schönemann, Matthias Matschke u.a.; Drehbuch: Dani Levy; Produktion: Stefan Arndt, Y Filme Directors Pool, X Filme Creative Pool; Kamera: Carsten Thiele, Carl-F. Koschnick; Musik: Niki Reiser; Länge: 95 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von X-Verleih
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