03.02.2013
Maladies
"Die Leute verstehen oftmals nicht wie sensibel andere Leute sind." Die Erkenntnis steht in dem bitter-süßen Spielfilmdebüt des New Yorker Künstlers und Filmemachers Carter weiß auf schwarz auf einer Textkarte. Die können die eigenwilligen Akteure des melancholischen Ensembletheaters jedoch nicht lesen. So treffen ihr Pragmatismus, ihre Launen und Provokationen stets und ständig den von den meisten "Maladies" geplagten Sensibelsten, der mit seinem Karojacket, Fotoapparat und Repertoire an Ticks 1963 durch den blassen Küstenort wandert.
Es braucht wohl ein Universaltalent wie den Regisseur, für den Film nur eine ästhetische Ausdrucksform von vielen ist, oder einen Verrückten, um aus James' schlichten Feststellungen das kindliche Staunen vor dem Wunder der Kreativität herauszuhören und das akute Bewusstsein für das Dunkel, das vor dem zündenden Geistesblitz herrschte. "Es gab Tage, viele Tage, an denen es keinen Moby Dick gab. Und dann – puff! – war da Moby Dick", erklärt James Catherine, die ihn erinnert, dass "puff!" einen ungeheuren Berg bedeutet. Ungeheuer ist ungeheuerlich für ihren Mitbewohner, der beständig neue Wege ersinnt, sein Romanprojekt zu verzögern. James hat das Aufschieben methodisiert, um sich so seiner quälenden Unschlüssigkeit zu entziehen. Symbol des paradoxen Dauerzustands aktiver Inaktivität ist "der tröstende Leerzeichenton des Telefons". Ihm lauscht James in Situationen äußerer oder innerer Anspannung und darauf spricht der Erzähler ihn an: "Beruhigt er dich, James?"
"Das sind einige der Dinge, die man nicht verbalisiert. Ich verbalisiere sie jetzt", bekundet James stellvertretend für Carter, dessen tragisch-komischer Schlüsselfilm seinerseits zwischen Empfindsamkeit und Überempfindlichkeit schwankt. Den Sinn des amüsanten Balanceakts nennt eine weitere Textkarte: "Alles muss gemacht werden und es muss von jemandem gemacht werden." Lida Bach /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: Pamela Berkovic Filmdaten Maladies (Maladies) USA 2012 Regie & Drehbuch: Carter; Darsteller: James Franco (James), Catherine Keener (Catherine), Fallon Goodson (Patricia), David Strathairn (Delmar), Vince Jolivette (Officer Jolivette), Carter (Carter), Jon Prescott (Prescott), Jean Carter (Jean), Jermaine Crawford (Teenager), Alan Cumming (Alan), Madalyn Lester (Madalyn), Mary Beth Peil (blinde Frau) u.a.; Produzenten: Vince Jolivette, Miles Levy, Jeff Most, Jeff Rice, Marni Zelnick; Kamera: Doug Chamberlain; Musik: J Ralph; Schnitt: Curtiss Clayton; Länge: 96 Minuten; deutscher Kinostart: noch nicht bekannt
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