März 2001

Ludwig II.

Luchino Visconti gilt Fachleuten als genauer Beobachter der deutschen Geschichte. Einige behaupten gar, er habe die "Deutschen" in seinen Filmen besser beschrieben, als sie es selbst je vermocht hätten. Diesen Ruf erbrachte Visconti seine "Deutsche Trilogie", die nach "Die Verdammten" (1968) und "Tod in Venedig" (1970) schließlich in "Ludwig II." 1972 ihren Abschluss fand. In diesem vierstündigen Epos verfolgt der Zuschauer die Laufbahn des jungen Ludwig, von dessen Krönung zum König von Bayern 1864 im zarten Alter von 19 Jahren, bis zu seinem Tode 22 Jahre später.

Ludwig II.: Filmplakat Ludwig II., der letzte König von Bayern, gilt heute als "Märchenkönig": Grund dafür sind seine pompösen, kitschigen und "märchenhaften" Schlösser, deren Errichtung das Königreich Bayern in den Ruin trieb. Besser als zur Darstellung seiner Verschwendungssucht, eignen sich diese Schlösser, um einen Blick auf das Innenleben ihres geistigen Schöpfers zu werfen. Schon früh zeigt sich, dass Ludwig, ein junger, sensibler, psychisch labiler Mann, nicht an Politik interessiert ist. Er möchte "sein Volk erhöhen" und dabei soll ihm die Kunst helfen, denn Kunst ist "Wahrheit" und "Schönheit". Beide Begriffe sieht Ludwig im Werk Richard Wagners vereint, den er, trotz dessen schlechten Rufes, nach Bayern holt. Nur Ludwigs Vertrauter Dürckheim versucht das drohende Unheil abzuwenden: In einer Schlüsselszene konfrontiert er den König damit, dass ein Volk dringlichere Bedürfnisse habe, als "erhöht" zu werden. Ludwig mache den Fehler, seinen privilegierten Zugang zur Kunst auf das Volk zu übertragen. Dürckheims Einwände verhallen jedoch unverstanden: Zum Schluss wird der delirierende König entmachtet, entmündigt und eingesperrt. Er stirbt 1886 unter nicht geklärten Umständen.

Visconti zeigt den König als zerrissenen Charakter: Ludwigs Inkompetenz und seine psychische Disposition sind früh auch für ihn erkennbar. Anstatt nun ein kleiner, unauffälliger König zu werden, greift er nach den Sternen - und trägt so seine Schwäche noch deutlicher zur Schau. Der König wird jedoch nicht als unfähiger Staatsmann diffamiert. Es wird vielmehr deutlich, dass Ludwig nicht das eigentliche Übel ist: Er ist Symptom für die überkommene und dekadente monarchische Struktur, die schon den heraufziehenden Faschismus erahnen lässt. Dies zu zeigen, gelingt Visconti durch die formale Gestaltung seines Filmes, die heutigen Sehgewohnheiten stark widerspricht. "Ludwig II." besticht durch seine starre Gliederung, die den Film in lange, statische Szenen teilt. Dialoge sind fast der einzige Handlungsträger. Selbst wichtige Ereignisse, etwa den Krieg Bayerns gegen Preußen, bekommt der Zuschauer nur mündlich überliefert. Er teilt so die Wahrnehmung Ludwigs, der auch nur als "Hörer" daran teilhat. Dunkle, schwere Farben dominieren sowohl in den Innenszenen, als auch in den spärlichen Außenaufnahmen, die sich entweder nachts oder aber in winterlicher Landschaft abspielen. Die Atmosphäre, die den Film beherrscht, ist dieselbe, die in Viscontis "Tod in Venedig" durch die Kanäle der Lagunenstadt wabert.

Der Adel lebt ein abgeschottetes Leben, fernab jeglicher neuen, lebendigen Impulse. Diese Eingeschlossenheit muss sich, das wird im Film auch angesprochen, nicht zuletzt in Inzest niederschlagen: Vielleicht ist Ludwigs Disposition so zu erklären. Geistig und körperlich verfallen, wird er am Ende von seinen Untergebenen entmachtet. Die, die seine Verschwendungssucht und seine orgiastischen homophilen Ausschweifungen nun verurteilen und bestrafen, sind die eigentlich Verantwortlichen. Ludwig ist Marionette eines Systems, dem es an Selbsterhaltung gelegen ist. Der König war genauso verschwenderisch, exzentrisch und ausschweifend, wie die Drahtzieher hinter den Kulissen es ihm gestattet haben und wie er sein musste. Seine Exzentrik ist auch als Flucht zu verstehen: Er will Transzendenz, einen Sinn finden und stiften. Sein Scheitern führt ihn in den Wahnsinn und diesem passt Visconti die Inszenierung an. Die Dialoge verstummen, die Bilder fangen an zu sprechen: Die künstliche Grotte mit den rosa und blau gefärbten Schwänen; die monumentalische, groteske Eingangshalle von Neuschwanstein und Elisabeths erschüttertes Schweigen in ihrem Angesicht - der Verlust des Verstandes und der Vernunft ist vor allem der Verlust der Sprache.

Eben wurde Ludwigs Scheitern erwähnt, doch seine "Flucht" gelingt am Ende: Während eines Freigangs erschießt Ludwig den ihn begleitenden Arzt, bevor er sich selber umbringt (Hier verwischt Visconti die Fakten zugunsten eines dramatischen Endes). Der Griff nach der Transzendenz und der Griff nach der Pistole - in diesem Fall sind sie identisch.

In einem in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Film überragt eine Gestalt alle anderen: Helmut Berger als Ludwig. Es ist schade, dass dieser begnadete Schauspieler heute nur noch durch diverse peinliche Fernsehsendungen gehetzt wird, denn wozu er einst in der Lage war, zeigt er in Viscontis Film. Romy Schneider gibt ihre Neuinterpretation der "Sissi" - eine Rolle, die sie in Deutschland leider gebrandmarkt hat - und überzeugt als reife, selbstbewusste Kaiserin. Für einige komische Momente sorgt Trevor Howard als Wagner, dessen angeblich homoerotisches Verhältnis zu Ludwig II. der Film ausspart.  

Oliver Nöding / Wertung: * * * * * (5 von 5)

Quelle des Filmplakats: Kinowelt


Filmdaten

Ludwig II.
(Ludwig)

I/F/BRD 1972
Regie: Luchino Visconti;
Drehbuch: Luchino Visconti, Enrico Medioli; Produktion: Ugo Santalucia; Kamera: Armando Nannuzzi; Musik: Robert Schumann, Richard Wagner, Jacques Offenbach, Franco Mannino (Bearbeitung);
Darsteller: Helmut Berger (Ludwig II.), Romy Schneider (Elisabeth von Österreich), Trevor Howard (Richard Wagner), Helmut Griem (Dürckheim), Silvana Mangano (Cosima Wagner), Gert Fröbe (Pater Hoffmann), Nora Ricci (Ida von Ferenczy), John Moulder-Brown (Prinz Otto), Heinz Moog (von Gudden), Mark Burns (Hans von Bülow) u.a.

Länge: 235 Minuten (rekonstruierte Fassung); FSK: ab 12 Jahren.



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