22.02.2013
Sternenstaub

Le Météore


Le Météore "Wir klammern uns fest." Die Stimme ist tonlos und dumpf. Ein Echo, das aus undurchdringlicher Finsternis zu den symbolschweren Bildern aufsteigt. Die Finsternis hält Pierre gefangen, mit Stein, Fleisch und Metall. Mit Mauern, Wärtern und Gitterstäben. 14 Jahre sollen sie den in sich gekehrten Hauptcharakter (François Delisle, Stimme: François Papineau) umgeben. Zu viele Jahre lebt er getrennt von der Außenwelt. Alle Bande zu ihr sind gekappt, außer zu der erschöpften Mutter (Jacqueline Courtemanche, Stimme: Andrée Lachapelle) und seiner Frau Suzanne (Noémie Godin-Vigneau, Stimme: Dominique Leduc). Sie bilden das unglückliche Dreigestirn von François Delisles allegorischem Porträt verlorener Seelen, auf die "Le Météore" ein Streiflicht wirft, bevor sie im Dunkeln versinken.

"Wir fokussieren uns auch hier auf nutzlose Dinge", sagt Pierre zu Beginn. "Hier" ist im Gefängnis, dessen Konstitution die Collage auf extrinsischer und intrinsischer Ebene erkundet. Die Farbpalette ist matt, das Licht trübe, der Ton gedämpft und die geteilten Empfindungen sind Einsamkeit, Kraftlosigkeit und Bitternis. Grund für Pierres Haft ist ein Fahrerfluchtdelikt, dessen konkrete Umstände vage bleiben. Die Tatberichte Pierres und seiner Mutter stehen im Widerspruch zu einer Szene, in der er den Körper der Überfahrenen versteckt und seine blutigen Hände wäscht. Das Gefühl der Schuld, das die Einstellung gleichnishaft vermittelt, fesselt auch Mutter und Ehefrau an den Verurteilten, von dem sie sich nicht lösen wollen oder können. "Es ist eine schlechte Angewohnheit. Abhängigkeit. Für ihn und für mich", weiß Suzanne, die gegen den inneren Zwang machtlos ist wie ihr Mann gegen den äußeren. "Verfluchte Bande. Verantwortung."

Le Météore Dialoge spart Delisles präzise Figurenstudie ebenso radikal aus wie einen Plot. Die Ereignisse, ihr Hintergrund und die intimen Mechanismen, die sie bewirkten, erschließen sich in einem Mäander tiefgreifender Monologe und Motive: Schnittblumensträuße erinnern an Stillleben niederländischer Maler, stille Naturszenen, emotional distanzierte Nahaufnahmen der Protagonisten. Je mehr sie psychisch preisgeben, desto mehr verhüllen sie sich körperlich, wenden ihr Gesicht ab oder verbergen es unter Kapuzen. "In der Natur können sich Tiere verstecken", sagt Pierre. Immer beobachtet zu werden verändere einen. Seine Worte deuten auf die Instabilität der Figuren. Ihre äußerlich wahrgenommene Persönlichkeit ist womöglich eine unwillkürliche oder unbewusste Verformung ihrer wahren Natur. Wenn nicht, so erinnern die fragmentierten Bilder, worin sie nur als Hand oder Umriss existieren, dass die gezeigten Leben bloße Teile eines größeren Mosaiks sind.

Es bleibt im Zwielicht, das die sichtbare und unsichtbare Welt von "Le Météore" und alle, die seine Bahn verfolgen, beherrscht. Das Gefühl von Liebe verschwinde nie, heißt es einmal: "Es löst sich auf." Genauso vergehen sie, die zwischen zweierlei Todesarten wählen können: einsam und rasch wie von Pierres Mutter und seinem Zellennachbarn oder gemeinsam und langwierig wie der seiner krebskranken Tante. Wenn es etwas wie Freiheit in der cineastischen Kerkerwelt gibt, wartet sie im Tod. In Suzannes Worten: "Ich weiß was es bedeutet ein Schatten seiner selbst zu sein."  

Lida Bach / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Films 53/12

 
Filmdaten 
 
Le Météore (Le Météore) 
 
Kanada 2013
Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt: François Delisle;
Darsteller: Noémie Godin-Vigneau (Suzanne), François Delisle (Pierre), Boris Beauchamp (Junge), Dany Boudreault (Max), Jacqueline Courtemanche (Mutter), William Delisle (Junge), Stéphane Jacques (Stimme des Wächters), Andrée Lachapelle (Stimme der Mutter), Pierre-Luc Lafontaine (Stimme von Max), Dominique Leduc (Stimme von Suzanne), Laurent Lucas (der Wächter), François Papineau (Stimme von Pierre), Brigitte Pogonat (das Opfer), Camille Pont (Mädchen), Christophe Rapin (Mann) u.a.;
Produzent: François Delisle, Films 53/12; Musik: Suzie Leblanc;

Länge: 85 Minuten; deutscher Kinostart: noch nicht bekannt
ein Film im Forum der 63. Berlinale 2013



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der Film im Katalog der 63. Berlinale 2013
<22.02.2013>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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