28.01.2018
Identitätskrisen in der Provinz

Landrauschen


Landrauschen: Kathrin Wolf als Toni, Nadine Sauter als Rosa Statt Weltstadt nun wieder Landidylle. Statt Berlin wieder Bubenhausen bei Neu-Ulm. Antonie, gerufen Toni ist zurück in der Heimat und kommt erneut bei den Eltern unter, weil sie pleite ist, die Großstadt Geld kostete. Zwei Hochschulabschlüsse hat die junge Frau in der Tasche, aber keinen Job. Anstelle fester Arbeit in einer Ulmer Zeitungsredaktion erhält sie einen Praktikumsplatz. Zu ihrem Glück trifft sie die lebensfrohe, lesbische Rosa. Als sie sich ineinander verlieben, entstehen Konflikte, da die Landbevölkerung nicht weltoffen ist.
"Landrauschen" gewann u.a. den Hauptpreis sowie den Drehbuchpreis des 39. Filmfestivals Max Ophüls Preis 2018 in Saarbrücken. Der Film von Regisseurin Lisa Miller, der nach zwei Kurzfilmen deren Spielfilmdebüt ist, setzt auf Laiendarsteller, was manchmal nicht funktioniert, doch Nadine Sauter als Rosa – mehr noch als die von Kathrin Wolf dargestellte Toni – reißt "Landrauschen" aus dem Mittelmaß heraus, ihr Spiel als heimliche Heldin des Films ist eine Wucht.

Eine der ersten Sequenzen des Films spielt in der Ulmer Zeitungsredaktion. Bevor es zum Vorstellungsgespräch kommt, trifft Toni einen ehemaligen Mitschüler. Auch der ist an der Stellenausschreibung interessiert. Er spricht kurz über seinen Lebenslauf, der garniert mit Auslandsaufenthalten im Gegensatz zu dem Tonis top ist – "Das Übliche eben", sagt er und bringt damit das Kinopublikum zum Lachen. Natürlich erhält er den Job, zumal seine Kontrahentin auf die Toilette flüchtet. Toni hat ihre Periode im ungünstigen Augenblick. Ihr bleibt der Praktikumsplatz. So pointenreich und witzig die Sequenz auch aufgebaut ist: Regisseurin Miller führt die Schauspieler alles andere als gut, der Zuschauer windet sich, fürchtet um die Qualität des Films. Aber es lässt sich Entwarnung geben: Danach wird es besser, danach geben die Laiendarsteller alles für einen recht gelungenen Film.

Landrauschen: Ein Polizist entdeckt den Graffiti Fuck the System Toni besucht im Heimatdorf den Karneval und schreibt für die Zeitung darüber. Ihr Text ist nicht schlecht, aber nichts für den Anspruch einer Zeitung. Statt sachlich zu berichten, kritisiert sie das Banale der Dorfbewohner. Damit legt Regisseurin Miller, die auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, die Tendenz ihres Films fest: Es geht um den Kontrast zwischen liberaler und konservativer Einstellung, ja Rückständigkeit. Homosexualität hält man im Dorf für pure Verderbnis. Toni trifft Rosa. Diese ist eine unkonventionelle, progressive Lesbierin, die für eine kirchliche Einrichtung arbeitet. Sie verlieben sich, was im Dorf die Runde macht. Nur Tonis Eltern und der Pfarrer erfahren davon erst, als sie die beiden jungen Frauen beim Knutschen erwischen. Mit dem Pfarrer gibt es eine großartig inszenierte und gespielte Szene: Er stellt Rosa zur Rede und sie von ihrer Arbeit frei. Doch sie kontert grandios, zeigt selbstbewusst ihre geistige Überlegenheit. Die Szene hallt lange beim Zuschauer nach.

Der Film ist gutes Erzählkino, er geht des Weiteren auf Tonis Lebens- und Identitätskrise ein, womit die Kurzzeit-Großstädterin Rosa häufiger vor den Kopf stoßen wird. Tonis Krisen könnten noch durchdrungener ausformuliert sein. Oft verliert sich "Landrauschen" in seinen Schilderungen im klein-klein, will zu viel in die Handlung packen. Nadine Sauter als Rosa führt den Film, indem sie in ihm dominiert, über viele Untiefen (z.B. übertrieben deppert dargestellte Polizisten) hinweg.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Foto 1: Arsenal Filmverleih, Foto 2: Landrauschen Film

 
Filmdaten 
 
Landrauschen  
 
Deutschland 2018
Regie, Drehbuch & Schnitt: Lisa Miller;
Darsteller: Kathrin Wolf (Toni), Nadine Sauter (Rosa), Heidi Walcher, Volkram Zschiesche, Rupert Markthaler u.a.;
Produzenten: Johannes Müller, Lisa Miller; Produktion: Landrauschen Film; Kamera: Hannes Kempert; Musik: Robert Guschel;

Länge: 102,36 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 19. Juli 2018

Ein Wettbewerbsfilm des 39. Filmfestivals Max Ophüls Preis 2018: Gewinner des Hauptpreises, des Fritz-Raff-Drehbuchpreises und des Preises der ökumenischen Jury



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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