19.01.2010
Warten auf das Ende

La Belle Visite


La Belle Visite Da sitzen sie und warten, während sich draußen auf dem Meer die Wellen kräuseln. Sie warten, bis die Tür zum Speisesaal geöffnet wird. Oder jemand beim Bingo-Spiel endlich die noch fehlende Zahl aufruft. Sie warten auf die Mahlzeiten. Auf das Ergebnis der Blutdruckuntersuchung. Und auch auf das Ende des Verwandtenbesuches, nach dem man sich ein Glas des versteckten Hochprozentigen genehmigen kann.

Es ist eine von täglichen Routinen gleichmäßig geglättete Welt, die Regisseur Jean-François Caissy im Dokumentarfilm "La Belle Visite" mit Hilfe langer Einstellungen zeichnet. In seinem von der Außenwelt weitgehend abgeschirmten Heim im ländlichen Québec hat das Altern nichts Prozesshaftes mehr. Man betrachtet Caissys Alte beim Friseurbesuch, beim gemeinschaftlichen Beten, beim Fernsehen. In der konzentrierten Wiederholung des Alltäglichen geht beinahe jegliche Individualität verloren. Die Zähigkeit, mit der die Kamera etwa sekundenlang auf den schrumpligen Händen eines Grauhaarigen verharrt, der nach seiner Krankenversicherungskarte tastet, vermittelt die Monotonie einer ziellosen Existenz. Hier ist das Leben an sein Ende gelangt, hier ereignet sich nichts Nennenswertes mehr. Draußen taut der Schnee. Die angestaubte Weihnachtsdekoration kann in den Müll. Die Jahreszeiten mögen vergehen – doch die Zeit kriecht nur so dahin.

La Belle VisiteBei aller Nähe zu den wiederkehrenden Verrichtungen bleiben manche Bereiche ausgespart. Nie sehen wir die Alten beim Waschen, nie beim Gang auf die Toilette. Die möglicherweise unappetitlichen Aspekte des Lebensabends hat Caissy weggelassen. Das kann man langweilig finden, bedrohlich oder nichtssagend. Außergewöhnlich ist dieser Verzicht auf Hauptfiguren, Spannung und das, was das Wort Plot verdient hätte, allemal. Hier werden keine Wertungen abgegeben, hier wird nichts kommentiert oder gar symbolhaft überhöht. Und so bleibt dieser Rückzug auf das pure Zeigen auch wieder unbefriedigend. „La Belle Visite“ hat seine starken Sequenzen, wirkt jedoch schließlich schal: Zu häufig hat sich jemand darauf beschränkt, das Existieren zu perpetuieren.  

Jasmin Drescher / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: offizielle Film-Homepage

 
Filmdaten 
 
La Belle Visite (La Belle Visite) 
 
Titel für den englischsprachigen Markt: Journey's End
Kanada 2009
Regie und Drehbuch: Jean-François Caissy; Produktion: Les Films de L'Autre; Länge: ca. 80 Minuten; ein Film im Forum der Berlinale am 11. Februar 2010



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<19.01.2010>


Zitat

"Die erste Frage war immer, ob ich aus dem Osten oder Westen bin. Hätte man auch googeln können."

Regisseur Wolfgang Becker (22. Juni 1954 - 12. Dezember 2024), Regisseur von "Good Bye, Lenin!", über Interviews zum Film

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