31.01.2008
Kein klassischer "Buckfilm"

Knallhart


Das Genre des Ghettofilms ist in Deutschland verhältnismäßig jung. In anderen Ländern wie Frankreich oder den USA wurde das Problem von Parallelgesellschaften und an den Rand gedrängten Menschengruppen bereits lange vor Zeiten der Rütli-Schule thematisiert. Entsprechend ist dort eine Filmtradition zu finden, die sich dieser Thematik in fast allen Genres ("Boyz'n the Hood", "Street Trash", "Friday" ...) vielfältig und in allen qualitativen Schattierungen annimmt. Hierzulande ist ein filmischer Beitrag zu diesem Thema hingegen automatisch auch eine Provokation. Die Frage, ob überhaupt ein Problem mit Parallelgesellschaften existiert, wurde bis vor kurzem schließlich noch kontrovers diskutiert. Dass das Genre in Deutschland so jung ist, dass praktisch keine vorgefertigten Klischees existieren, lässt diese Filme dann umso kraftvoller und provokativer wirken.

"Knallhart" ist einer dieser jungen deutschen Ghettofilme und trotz seines Regisseurs alles andere als ein klassischer "Buckfilm", so viel wird bereits durch die Auswahl der Schauspieler klar. Jenny Elvers allein dürfte Bucks Publikum hinreichend irritiert haben. Die Entscheidung, Christian Ulmen in einer winzigen Nebenrolle zu besetzen, in der nicht einmal sein Gesicht erkennbar ist, weist jedoch einem Herrn Lehmann mit ausgesprochener Deutlichkeit seinen Platz im Neukölln von "Knallhart" zu. Weitere Darsteller, die etwa dem Kosmos eines Ulrich Seidl entspringen (Georg Friedrich, bekannt aus "Hundstage") unterstreichen die Abkehr vom Komödiengenre noch zusätzlich.

Die Handlung des Films ist schnell erzählt: Michael Polischka wohnt im Berliner Villenviertel Zehlendorf bei Dr. Peters, dem reichen Liebhaber seiner Mutter Miriam. An Michaels 15. Geburtstag jedoch werden er und Miriam abrupt auf die Straße gesetzt. Ohne zu wissen, was auf sie zukommt, ziehen beide nach einer Irrfahrt im Taxi ins Herz von Neukölln, dem sozialen Brennpunkt der Stadt. Dort findet sich Michael in seiner neuen Schule zwischen Dauerkiffern und Kleinkriminellen wieder. Als er verrät, woher er kommt, richtet sich die Stimmung gegen ihn: Erol, Kopf einer Schlägerbande, beginnt ihn mit seinen Freunden regelmäßig abzuziehen und zu verprügeln. Als Michael an Hamal, Teil des organisierten Verbrechens, ein Handy verkauft, wird dieser auf sein "ehrliches Gesicht" aufmerksam und lässt ihn von da an für sich arbeiten. Zunächst verschafft ihm das neben Geld und Prestige Schutz vor Erol und seinen Freunden. Als jedoch eine Geldübergabe schief läuft, verkomplizieren sich die Dinge und Michaels Karriere als Drogenkurier endet nach einem dramatischen Showdown auf dem Polizeirevier.

Der Grundkonflikt des Protagonisten wird gegen Ende des Films in einer symbolhaften Einstellung verbildlicht: man sieht, wie ein durstiger Fuchs am Flussufer mitten in Berlin Wasser trinkt. So wie dieser Fuchs unter erschwerten Bedingungen in der Großstadt lebt und seine ihm natürlichen Verhaltensweisen ändern muss, so sucht auch der Protagonist in einem fremden Umfeld nach neuen Überlebensstrategien. Dass er dabei keine Entscheidungen treffen, sondern lediglich seine einzigen Optionen wahrnehmen kann, zeugt vom fast fatalistischen Kern des Films.

Der teilweise bruchstückhaften Handlungskonstruktion entspricht Michaels Entwicklung. So wie der Film eine aufkeimende Liebesgeschichte plötzlich fallen lässt und damit der Gefahr klischeehaft zu werden aus dem Weg geht, so kann auch Michaels "Coming-of-Age" durch seinen Überlebenskampf nicht vollständig zur Entfaltung kommen. Seine Arbeit als Drogenkurier lässt sowohl seine Freundschaften mit ihren Mannwerdungsritualen als auch seine erste Liebe scheitern. Dass erst nach dem Fressen die Moral kommt, hat bereits Brecht formuliert. Dass aber auch das eigentliche Menschsein erst beginnen kann, wenn die eigene Sicherheit gewährleistet ist, ist eine der Botschaften von "Knallhart".

Trotz seiner spannenden Figuren, seiner hochaktuellen Thematik und der interessanten Geschichte scheint Buck jedoch händeringend jedes ästhetische Mittel ausschöpfen zu wollen um dem Zuschauer Authentizität zu suggerieren. Das grobkörnige Bild, die Entscheidung für Laiendarsteller, das ständige Bemühen von Reizwörtern aus dem Untergrundslang Neuköllns, sowie die Integration von Jenny Elvers realem White Trash Image in die Rolle der Miriam - es ist alles ein bisschen so, als würde ein Regisseur wieder und wieder den Eiffelturm abfilmen um zu beweisen, wie pariserisch sein Werk ist. Dabei hätte Buck es gar nicht nötig gehabt, so um Street Credibility zu werben. Die einfache Story verbindet sich ohnehin beinahe organisch mit dem Setting in Neukölln, wo on Location gedreht wurde, so dass alle mit Nachdruck behauptete Verankerung in der Realität eher von der natürlichen Glaubwürdigkeit des Films ablenkt.

Als Diskussionsbeitrag scheint "Knallhart" in Zeiten, in denen Wahlkämpfe mit stereotypen Bildern von jugendlichen Kriminellen und mit vereinfachten Lösungsansätzen geführt werden, noch wichtiger als zum Datum seiner Veröffentlichung. Im Gegensatz zu anderen Genrefilmen wie „Wut“ gelingt es, den Zuschauer auf die sozialen Quellen, nicht allein auf die Symptome der Ghettoisierung deutscher Großstädte und die damit einhergehenden Probleme zu stoßen. Dass dieser Film, der zu Diskussionen um Lösungsansätze anregt, sich auch künstlerisch nur wenig vorwerfen lassen muss, macht ihn zu einer umso größeren Bereicherung für das deutsche Kino.  

Niclas Heckner / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Knallhart (Deutschland 2006) 
 
Regie: Detlev Buck;
Darsteller: David Kross (Michael Polischka), Jenny Elvers-Elbertzhagen (Miriam Polischka), Erhan Emre (Hamal), Inanç Oktay Özdemir (Erol), Jan Henrik Stahlberg (Dr. Klaus Peters), Hans Löw (Kommissar Gerber), Kida Khodr Ramadan (Barut), Arnel Taci (Crille), Kai Michael Müller (Matze), Eva Löbau, Georg Friedrich, Christian Ulmen u.a.; Drehbuch: Zoran Drvenkar, Gregor Tressnow; Produktion: Claus Boje; Kamera: Kolja Brandt; Musik: Bert Wrede; Länge: 98 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 9. März 2006; ein Film im Verleih von Delphi Filmverleih



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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