19.06.2011
Der große Frust

Kleine wahre Lügen


Kleine wahre Lügen: Pascale Arbillot, Marion Cotillard Das Leben geht weiter. Auch wenn es für einen von ihnen fast zu Ende ist. So ist das manchmal unter Freunden, die einander lange kennen, so ist es in "Kleine wahre Lügen" bei Marie (Marion Cotillard), die ihre erkaltete Leidenschaft mit bisexuellen Affären überspielt und Vincent (Benoît Magimel), der seine Homosexualität erkennt. Im malerischen Ferienressort von Max (François Cluzet), welcher die materielle Beschränkung seiner Kindheit mit einem Luxusheim kompensiert, verbringen die drei ihren alljährlichen Sommerurlaub. Der Vierte der Clique ist Eric (Gilles Lellouche), ein ehrgeiziger Schauspieler - nicht der einzige der Runde, der gewohnt ist, anderen etwas vorzumachen.

Die Gegenwart enger und allzu enger Freunde ist für die krisengeplagten Protagonisten selbstverständlich geworden. Unverzichtbar und unabdingbar wie gemeinsame Urlaube und gemeinsame Geheimnisse. Seinen bisher persönlichsten Film nannte Guillaume Cannet sein jüngstes Werk. Über dem Kommentar des Regisseurs liegt der gleiche Lack des Hochgestochenen, der "Kleine wahre Lügen" zu einem filmischen Hybriden macht. Dass hinter all dem mehr steckt als eine Stilübung in Melodramatik, verrät die inszenatorische Bedachtsamkeit Cannets. Zu gut kennt er die Egozentrik, die der Koketterie und Bissigkeit der Protagonisten innewohnt, als dass er sie im Verborgenen ließe. Das Air des Prätentiösen treibt er auf die Spitze, um es unvermittelt kippen zu lassen. Dann wandeln sich die Worthülsen in schneidende Parodie und was als geschwollene Szene begann wird Satire. Dass diese Momente rar scheinen, liegt auch an der Überlänge der tragisch-komischen Befindlichkeitsstudie. Knapp und brüsk inszeniert käme die Gesellschaftskritik zur Geltung. Doch auf über zwei Stunden gestreckt überstrapaziert der Plot seine eigene Pointe. Die ausführlichen Aufnahmen der Umgebung und der in ihr verweilenden Figuren wirkt bestenfalls selbstvergessen, schlimmstenfalls jedoch selbstgenügsam.

Kleine wahre Lügen: Filmplakat Vielleicht kann das Kameraauge sich nicht sattsehen an der pittoresken Landschaft, weil Cannet sie nicht aus rein filmkünstlerischer Sicht betrachtet. Sein inszenatorischer Blick scheint gefiltert durch seine persönliche Beziehung zur Szenerie. Ihre Gefühlswirren erleben die Protagonisten an einem Ferienort, zu dessen häufigen Besuchern Cannet selbst zählt. Nicht nur hier verknüpfen sich Fiktion und Realität. Seiner Ehefrau Marion Cotillard gab Cannet den zentralen Part der Marie. Deren Frustration zeichnet eine eigenwillige Schönheit in die Züge der Darstellerin. Mit einer kleinen Depression flirten fast alle der Protagonisten. Wird nicht gestichelt oder gestritten ergibt man sich gepflegter Melancholie. Doch während die aufgesetzte Zermürbung der übrigen anstrengt, berührt der aufrichtige Trübsinn Maries. Zieht sie sich zerknirscht in ihr kühles Inneres zurück, ist sie noch bestrickender anzusehen. Ihr Schatten fällt unweigerlich auf den Rest des Ensembles, dessen Spiel gegenüber dem von Marion Cottilard fade wirkt wie das komfortable Beisammensein auf die Figuren. Deren Anzüglichkeiten und Geheimniskrämereien sind weniger aufbrechende Konflikte als eine Art frivoler Zeitvertreib.

Kleine wahre Lügen: Gilles Lelouche Ein ähnlicher Genuss scheint der Ausflug in eine Welt des dezenten Hedonismus auch für den Regisseur zu sein. Die Betonung seiner persönlichen Verwurzelung im filmischen Milieu verleiht der zartbitteren Humoreske eine metatextuelle Ebene. Doch das glatte Parkett selbstanalytischer Gesellschaftskritik betritt sie nicht. Cannet zieht sich abrupt aus der Affäre, die er zuvor penibel kreiiert hat. An das augenscheinliche Vorbild "The Big Chill" und Folgewerke wie "Peter's Friends" reicht das mittelprächtige Dramolett nicht heran. "Kleine Notlügen" bedeutet der englische Verleihtitel, der an den Song Frank Sinatras erinnert, süßlich-herb, mit einer Spur zu viel Sentiment: "...I try but there's no forgetting when evening appears, I sigh but there's no regretting in spite of my tears."

Einer kleinen Notlüge gleicht auch der Film. Zu erschöpfend um durchgehend zu amüsieren, zu banal für authentische Dramatik und dabei dennoch zu clever um ihn nicht zu genießen, verkörpert "Kleine wahre Lügen" die Quintessenz seines Titels.  

Lida Bach / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Tobis Film

 
Filmdaten 
 
Kleine wahre Lügen (Les petits mouchoirs) 
 
Frankreich 2010
Titel für den englischsprachigen Markt: Little White Lies

Regie & Drehbuch: Guillaume Canet;
Darsteller: François Cluzet (Max Cantara), Marion Cotillard (Marie), Benoît Magimel (Vincent Ribaud), Gilles Lellouche (Éric), Jean Dujardin (Ludo), Laurent Lafitte (Antoine), Valérie Bonneton (Véronique Cantara), Pascale Arbillot (Isabelle Ribaud), Joël Dupuch (Jean-Louis), Anne Marivin (Juliette), Louise Monot (Léa), Hocine Mérabet (Nassim), Matthieu Chedid (Raphaël), Maxim Nucci (Franck), Néo Broca (Elliot), Marc Mairé (Arthur), Jeanne Dupuch (Jeanne), Mado Mérabet (Brigitte) u.a.;
Produktion: Alain Attal; Assoziierte Produktion: Gaëtan David, André Logie; Kamera: Christophe Offenstein;

Länge: 154,46 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Tobis; deutscher Kinostart: 7. Juli 2011



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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