20.11.2013
Verhallter Hilferuf

Jenseits der Hügel


Jenseits der Hügel Scheinbar teilnahmslos begleitet die Kamera das Geschehen dieses Films – was dazu führt, dass die Entsetzlichkeit der Kräfte, die im Hintergrund am Wirken sind, umso sichtbarer werden. Der rumänische Filmemacher Cristian Mungiu schrieb für diesen beunruhigenden Film das in Cannes 2012 prämierte Drehbuch, das er basierend auf Tatiana Niculescu Brans dokumentarisch festgehaltenen wahren Begebenheiten verfasst hatte.

Dafür, dass das Leben im bitterarmen Rumänien unmenschlich schwer sein kann, will der Film "Jenseits der Hügel" kein Mitleid erheischen. Er zeigt aber, dass sich die unbarmherzigen Konsequenzen dieser Armut in alle Bereiche der Gesellschaft hineinfressen, und selbst vor der letzten Hoffnung auf göttlichen Beistand keinen Halt machen. Alina und Voichita sind zwei Waisen, die sich in ihrer hoffnungsarmen Kindheit gegenseitig halfen, so gut es ging. Als Volljährige werden sie einfach aus dem Heim entlassen. Alina kommt in eine Pflegefamilie und nimmt minderwertige Gelegenheitsjobs in Deutschland an, während Voichita Zuflucht und seelische Aufgehobenheit im Kloster "Dealu Nou" findet.

Nur angedeutet wird in den prägnanten und kurzen Dialogen, dass sie sich auch als Liebende zugetan waren – wovon Voichita jetzt als Nonne nichts mehr wissen möchte. Auch nur ahnen kann man aufgrund der leisen Hinweise, dass die Mädchen von einem deutschen Hilfsgüterlieferanten zu pornografischen Filmaufnahmen gezwungen worden waren.

Jenseits der Hügel Die Freundinnen möchten zusammen bleiben, Alina ist dafür zu allem bereit. Sie versuchen sich gegenseitig von ihren widersprüchlichen Lebensentwürfen zu überzeugen: gemeinsam auf einem Schiff zu arbeiten oder gemeinsam im Kloster zu leben. Aber mitten in diese Unschlüssigkeit kommt die psychische Krankheit Alinas. Ab hier setzt sich ein erbarmungsloses System in Bewegung: die Pflegeeltern lassen Alina fallen und betrügen sie um ihr schwer erarbeitetes Geld, die Psychiatrie nimmt keine neuen Patienten auf, das Krankenhaus entlässt Alina vor ihrer Genesung, Priester und Nonnen sind wegen mitunter auch gewollter Ignoranz völlig mit der Situation überfordert. Und selbst dem Glauben an den helfenden Gott werden durch religiöse Einschränkungen Steine in den Weg gelegt. Die Tragik kann ungehemmt ihren Lauf nehmen, wird im Film aber nicht gewertet, sondern nur aufgezeigt. Der Winter und die Kälte gipfeln in einem kaum erträglichen Sturm, der auch die Verlorenheit der beiden Frauen begleitet.

Jenseits der Hügel Schon als er 2007 für seinen beklemmenden Film über Abtreibung, "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage", in Cannes die Goldene Palme erhielt, zeigte Mungiu mit einer Ästhetik der minimalistisch-dokumentarischen Filmsprache in der Manier des jungen rumänischen Kinos, wie z. B. auch in "Der Tod des Herrn Lazarescu" von Cristi Puiu oder "Mutter und Sohn" von Calin Peter Netzer, dass einige Realitäten zu hart sind, um anders darüber berichten zu können. So verzichtet er in "Jenseits der Hügel" auf das, was vom Geschehen ablenken könnte – Musik, Effekte, Nebenhandlungen – und erzeugt für den Zuschauer den von Dokumentarfilmen angestrebten Effekt, sich wie eine "Fliege an der Wand" zu fühlen. Ein Mitbeobachter zu sein, der nur seine eigenen Reaktionen auf das Geschehen wahrnimmt.  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Peripher Filmverleih

 
Filmdaten 
 
Jenseits der Hügel (Dupa dealuri) 
 
Rumänien / Frankreich 2012
Regie: Cristian Mungiu;
Darsteller: Cosmina Stratan (Voichita), Cristina Flutur (Alina), Valeriu Andriuta (Priester), Dana Tapalaga (Oberin), Catalina Harabagiu (Antonia), Gina Tandura (Nonne Iustina), Vica Agache (Nonne Elisabeta), Nora Covali (Nonne Pahomia), Dionisie Vitcu (Mr. Valerica), Ionut Ghinea (Ionut), Luminita Gheorghiu (Lehrerin) u.a.;
Drehbuch: Cristian Mungiu nach der Vorlage von Tatiana Niculescu Bran; Produktion: Why Not Productions, Les Films du fleuve in Koproduktion mit France 3 Cinema, Mandragora Movies; Kamera: Oleg Mutu; Schnitt: Mircea Olteanu;

Länge: 152,06 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; Original (rumänisch) mit dt. Untertiteln; ein Film im Verleih von Wild Bunch Germany, FSK Kino & Peripher Filmverleih GmbH; deutscher Kinostart: 14. November 2013

Auszeichnungen:
Cannes 2012:
Bestes Drehbuch: Cristian Mungiu
Beste Darstellerinnen: Cosmina Stratan, Cristina Flutur



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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