05.02.2013
Grenzgängerin in Gaza

Inch'Allah


Inch'Allah Ein sonniger Tag auf einem belebten Platz. Geschäftige Marktstände, volle Straßencafés, lachende Menschen. Eine langhaarige Frau mit einem Rucksack setzt sich an einen der Tische. Der junge Kellner bringt ihr einen Kaffee und sie rührt Zucker hinein. Ein kleiner Junge bleibt einen Moment vor den Käfigen eines Straßenhändlers stehen und betrachtet die Tauben darin. Die Vögel könnten Symbole für den äußeren Frieden sein, doch der Schauplatz von Anaïs Barbeau-Lavalettes zweitem Spielfilm ist nicht friedlich. Die Tauben sind hinter Gittern eingepfercht und blicken angstvoll als ahnen sie das Szenario, mit dem das Kriegsdrama beginnt.

Ein Donnern, eine Explosion, eine schwarze Leinwand. Zuletzt der Titelschriftzug: "Inch'Allah". Er unterstreicht verbal die kalkulierte Melodramatik, die durch eine wohldurchdachte Mischung aus Realismus und dosierter Sentimentalität von der Eingangsszene heraufbeschworen wird. Der Gewaltausbruch mag für die Protagonisten überraschend kommen, für den Zuschauer hingegen nicht. Der kleine Junge trägt ein Fez, der Ort der Handlung ist das Westjordanland und ihre zentrale Figur eine junge Ärztin. Chloé (Evelyne Brochu) kommt aus Quebec und ist Landsmännin der frankokanadischen Regisseurin, die sich ihrer Beobachtungsgabe weniger zugunsten einer authentischen Perspektive auf den Krisenherd bedient als zur Imitation bewährter Inszenierungsschemata. Letzte sind vor allem die des gewichtigen Hollywood-Dramas, das die vordergründige Ensembletragödie so gerne wäre. Die hohen Ambitionen, die "Inch'Allah" im Bezug auf Kommerz und Reputation schon im provokanten Titel vor sich herträgt, erstrecken sich leider nicht auf die Dramaturgie.

Inch'Allah Sie folgt einem Muster so festgefahren und absehbar wie die Denk- und Vorgehensweisen der Figuren. Von ihnen steht mit Chloé die am wenigsten interessanteste im Mittelpunkt des Konflikts. Im doppelten Sinne, denn die engagierte Ärztin überquert regelmäßig den Grenzposten, an dem ihre junge Nachbarin Ava (Sabrina Ouazani) Dienst tut. Die ungleichen Frauen kennen einander nicht nur von den täglichen Kontrollen, sondern gemeinsamen Abenden, an denen sie beim Ausgehen das Leid und die allgegenwärtige Gewalt zu verdrängen suchen. Während Ava als verhärtet eingestuft wird, weil sie ihre Jugend ein wenig genießen will, zeigen Chloés gerötete Augen im Spiegel der Disco-Toilette ihren inneren Konflikt. Er steht symbolisch für den militärischen Konflikt, in dem Chloé vergeblich eine Neutralität zu wahren versucht, die unter den gegebenen Bedingungen nicht existieren kann. "Es ist dein Job", sagt sie der vom allgegenwärtigen Hass verstörten Ava. Die Grenzwächterin fühlt, was sich Chloé als Grenzgängerin zu spät eingesteht: "Du weißt genau, so einfach ist es nicht."

Die Komplexität der Situation negiert auch die Drehbuchautorin und Regisseurin. Immer weiter flüchtet sie sich in tendenziöse Gegenüberstellungen wie die von seichter Popmusik aus einer israelischen Fernsehshow und dem bewegten Gesang palästinensischer Straßenmusikanten und sentimentale Allegorien. Ein Loch in der Mauer, geschlagen von Kinderhand, gewährt keinen hoffnungsvollen Ausblick, sondern lediglich den auf ein potentielles US-Remake, das immerhin Barbeau-Lavalettes Ehrgeiz Frieden bringen würde.  

Lida Bach / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Philippe Lavalette (Foto oben), André-Line Beauparlant (Foto unten)

 
Filmdaten 
 
Inch'Allah (Inch'Allah) 
 
Kanada / Frankreich 2012
Regie & Drehbuch: Anaïs Barbeau-Lavalette;
Darsteller: Evelyne Brochu (Chloé), Sabrina Ouazani (Ava), Yousef Sweid, Sivan Levy, Carlo Brandt u.a.;
Produzenten: Luc Déry, Kim McGraw; Kamera: Philippe Lavalette; Musik: Levon Minassian; Schnitt: Sophie Leblond;

Länge: 101 Minuten; deutscher Kinostart: noch nicht bekannt
ein Film auf der Berlinale 2013 in der Sektion Panorama



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der Film im Katalog der Berlinale 2013
<05.02.2013>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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