15.01.2011
Eine Frau unter Einfluss

Im Alter von Ellen


Im Alter von Ellen: Jeanne Balibar "He must be very hungry if he comes out here." Ruhig liegt der Gepard im Schatten der Tragfläche neben dem Flugzeug. Nur der wache Blick verrät die innere Anspannung der Großkatze. Die vierzigjährige Stewardess Ellen (Jeanne Balibar) ahnt die Bedrängnis, die das Tier aus seinen angestammt Lebensraum treibt. Auf das offene Rollfeld, wo es ein leichtes Ziel für Schützen ist, Freiwild – seit langem gefangen von Zwang. Eine Schützin nähert sich schon mit geladenem Gewehr. Ellens Flug kann erst mit stundenlanger Verspätung starten. Doch nicht die Raubkatze, sondern sie ist dafür verantwortlich. Wie ein gehetztes Tier ist sie aus dem Flugzeug geflohen. Warum, das weiß sie nicht. Wohin, das wird sie sehen, wenn sie dort ist.

Ein Mahlstrom hat sich in den geregelten Fahrwassern von Ellens Leben aufgetan, der alles, das ihr Sicherheit gibt, in sich reißt. Auch die verschlossene Protagonistin von Pia Marais' einschneidendem Drama droht in dem Abgrund zu versinken. In ihrem zweiten Kinofilm drei Jahre nach dem viel beachteten Spielfilmdebüt "Die Unerzogenen" erweckt die Regisseurin und Drehbuchautorin das eindringliche Psychogramm einer tief verstörten Persönlichkeit. Gleichzeitig zeigt die mit unter die Haut gehender Intensität von Jeanne Balibar verkörperte Figur eine Entschlossenheit, welche sie gegen jeden Umschwung in ihrem Leben zu wappnen scheint. Die Eleganz der zu Beginn ihrer Odyssee kostümierten Stewardess schwindet, doch der feine aristokratische Zug in Jeanne Balibars Gesicht fasziniert weiterhin. Optisch erinnert sie an Pia Marais. Fast scheint die Hauptdarstellerin ein Alter Ego der Autorenfilmerin, die bereits in "Die Unerzogenen" autobiografische Motive verarbeitete, zu sein.

Im Alter von Ellen Ihre Flucht nach vorn führt Ellen im Kreis. Am Ende gelangt sie emotional unweigerlich an den Ausgangspunkt. In Südafrika, der Heimat von Pia Marais, beginnt und endet das Charakterporträt. Dazwischen begegnet Ellen den anderen, den vermeintlich Normalen, die tatsächlich noch zielloser durch das Leben treiben als sie. Wer glaube richtig und falsch unterscheiden zu können, sei auf gefährliche Weise dumm, heißt es in einer Szene. Je gewöhnlicher die oft sexuellen Bekanntschaften Ellens nach außen hin erscheinen, als desto verwirrter erweisen sie sich. "Menschen wie wir müssen doch ständig Fremden vertrauen", sagt ihr die Stewardess Simone (Eva Löbau), die Ellen kurz nach ihrer Kündigung trifft. Dass der Trost von Fremden zuverlässiger ist, als der vertrauter Menschen, erfährt auch Ellen. Ihr Lebensgefährte Florian (Georg Friedrich) verlässt sie für ein Familienleben mit seiner schwangeren Zweitpartnerin. Als er Ellen eine Ménage-a-trois vorschlägt, steht sie schon kurz vor einer Scheinehe, die den jungen Tierschutzaktivisten Karl (Stefan Stern) vor dem Wehrdienst bewahren soll.

Im Alter von Ellen Ob die Hauptfigur an der Erfahrung wächst, lässt Marais im Vagen. Was der seelische Hintergrund der Rastlosigkeit ist, welche die Hauptfigur von "Im Alter von Ellen" zu immer gewagteren Aktionen treibt, erfährt niemand. Weder der Zuschauer, noch Ellen die bis zuletzt eine Unbekannte bleibt. Nicht die wahre Ellen, sondern irgendeine Frau "Im Alter von Ellen". Die emotionale Distanz zu der Protagonistin hindert daran, ganz in dem Film zu versinken. Dennoch nehmen die Bilder von bizarrer Symbolkraft gefangen. Als weißgekleidete Braut läuft Ellen in einer Horde weißer Hühner, welche die schwarz gekleideten Tierschützer wie ein Wolfsrudel in die Freiheit scheuchen. In der wachsenden Absurdität liegt eine grausame Konsequenz, welche dem Drama eine rohe, manchmal ungeschlachte Ausdruckskraft verleiht.

Diese Ausdruckskraft liegt auch in Ellens entscheidender Erkenntnis: "Manchmal muss man von etwas wegkommen. Und ich bin an so einem Punkt angelangt." Selten wurde dieses Gefühl kongenialer umgesetzt, als in Marais' Seelendrama "Im Alter von Ellen".  

Lida Bach / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Real Fiction

 
Filmdaten 
 
Im Alter von Ellen   
 
Deutschland 2010
Regie: Pia Marais;
Darsteller: Jeanne Balibar (Ellen), Stefan Stern (Karl), Georg Friedrich (Florian), Julia Hummer (Rebecca), Alexander Scheer (Bennett), Eva Löbau (Simone), Clare Mortimer (Claire), Ian Roberts (Hagan), Jasna Bauer (Billy), Patrick Bartsch (Paul), Benno Lehmann (Louis), Fabian Astor (Christian), Luis Lüps (Raffael), Moritz Neuffer (Josche), Tsephang Mohlomi (Joseph), Johann König (Fred), Cay Hellmich (Personalchefin) u.a.;
Drehbuch: Horst Markgraf, Pia Marais; Produktion: Pandora Film Produktion in Koproduktion mit Westdeutscher Rundfunk und arte; Producers: Claudia Steffen, Christoph Friedel; Kamera: Hélène Louvart; Musik: Horst Markgraf, Yoyo Röhm; Schnitt: Mona Bräuer;

Länge: 101,43 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Real Fiction Filmverleih; deutscher Kinostart: 20. Januar 2011



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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