16.10.2017

Hundert Nägel

Ermanno Olmi zählt zu den Altmeistern des italienischen Kinos. Nach einer Reihe von Kurz-Dokumentationen inszenierte er 1959 seinen ersten Spielfilm – fast fünfzig Jahre später legt er mit "Hundert Nägel" (aus dem Jahr 2007) seinen letzten fiktionalen Film vor, um fortan ausschließlich dokumentarische Arbeiten zu realisieren. Eine große Bürde lastet also auf dem Film, soll er doch ein filmisches Werk abschließen, das sich beinahe über ein halbes Jahrhundert erstreckt. Schon allein durch diese Funktion erhält Ermanno Olmis letzter Spielfilm ein starkes Gewicht, das durch die Wahl des Stoffs noch verstärkt wird.

Dabei beginnt "Hundert Nägel" wie eine Farce: Hundert wertvolle Original-Manuskripte einer ehrwürdigen Universitätsbibliothek wurden über Nacht mit Zimmermannsnägeln auf den Boden genagelt. Überzeichnete Leute rennen aufgeschreckt durcheinander, die Polizeiinspektoren rücken an und das Publikum wähnt sich in einem skurrilen Kriminalfilm. Doch bald fokussiert Ermanno Olmi die bedächtig voranschreitende Handlung auf den Täter, einen jungen Professor der Philosophie (Raz Degan). Dieser flieht, restauriert am Ufer des Po eine verfallene Hütte und tritt als eine Art moderner Jesus mit den dortigen Anwohnern in Kontakt.

Von nun an ist "Hundert Nägel" eine symbolisch überladene Parabel über die Natur des Menschen. Immer wieder zeigt Olmi seine Figuren beim Essen und Trinken, beim Reden und Tanzen, wobei die Natur und vor allem das Wasser – als Quell des Lebens – ein wesentliches Leitmotiv darstellt. Das zentrale Bild bleibt aber das der zerstörten Bücher und es dauert nicht lang, bis Ermanno Olmi es mit einem zweiten Schlüsselbild kommentiert: Der Professor wärmt auf der Flucht seine Hände, indem er ein Manuskript verbrennt. Das Wissen, festgehalten in Büchern, wiegt in "Hundert Nägel" weniger als menschliches Gefühl und es ist eine durchaus kritische Position, die Olmi dem Festgeschriebenen gegenüber einnimmt. Er habe ein Leben aus Papier geführt, findet der Professor – nun lebe er die Erkenntnis, dass eine Tasse Kaffee mit einem guten Freund tausendmal mehr wert sei als alle Bücher der Welt.



Diese Filmkritik ist zuerst erschienen bei fluter.de.

 

Christian Horn / Wertung: * * * (3 von 5)



Filmdaten

Hundert Nägel
(Centochiodi)

Italien 2007
Regie & Drehbuch: Ermanno Olmi;
Darsteller: Raz Degan, Luna Bendandi, Andrea Lanfredi, Amina Syed, Carlo Faroni, Luigi Galvani, Enrico Molinari, Giuseppe Pivanti, Giovanni Ponti, Pino Ponti, Gino Rizzati u.a.;
Produzenten: Roberto Cicutto, Luigi Musini; Kamera: Fabio Olmi; Musik: Fabio Vacchi; Schnitt: Paolo Cottignola;

Länge: 92 Minuten; FSK: keine Angabe; deutscher Kinostart: 23. September 2010



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