7. April 2005
Hotel Ruanda
1994 erlebte
die Welt die Implosion eines Krisenherdes, aber sie tat nichts. In Ruanda
starben innerhalb von 100 Tagen knapp eine Million Menschen. Extremisten
unter den Hutu gelang es, ihre Bevölkerungsmehrheit gegen die Tutsi
aufzuhetzen. Paul Rusesabagina (Don Cheadle), ein Hotelmanager, ein Hutu,
wird zum Helden der Stunde - zunächst, weil er seine Frau, eine Tutsi,
und seine Familie beschützt. Bis er zu einer Art Oskar Schindler Afrikas
wird. Zu recht wurde "Hotel Ruanda" auf der Berlinale 2005 gefeiert, ohne
Wettbewerbsfilm gewesen zu sein.
Der 7. April 2005, der Tag des deutschen Kinostarts von "Hotel Ruanda"
war gleichzeitig der 11. Jahrestag des Beginns der Bürgerkriegs in
Ruanda. Noch nicht einmal ein Jahr ist es beim Kinostart her, dass die
UNO explizit jenen Bürgerkrieg als das, was es war, als Genozid bezeichnet
hat. Die Welt hätte eingreifen müssen. Aber hätte sie auch
eingreifen können? Ein von Joaquin Phoenix gespielter Kameramann wird
einmal den Grundkonflikt, den dieser Film in den Vordergrund stellt, erläutern:
Damit waren die ruandischen Tutsi auf sich allein gestellt. Gefangen in Stammeskämpfen, die noch ein Jahr zuvor in weite Ferne gerückt schienen. Ein Friedensvertrag zwischen beiden Stämmen war unterzeichnet worden. Am 6. April 1994 sterben Ruandas Präsident Habyarimana und der Präsident von Burundi bei einem Flugzeugabsturz, den Hutu-Extremisten verantworten, weil sie damit die Umsetzung des Friedensabkommens verhindern wollen. Am Tag darauf ist es soweit: Die von Hutu geführten Radiostationen vermelden "Fällt die großen Bäume". Das Signal für den Massenmord. In "Hotel Ruanda" wird ein farbiger Hotelmanager-Assistent namens Paul Rusesabagina (Don Cheadle) zum unmittelbar Betroffenen. Er selbst ist ein Hutu, verheiratet ist er aber mit einer Tutsi, Tatiana (Sophie Okonedo). Sie und die Kinder als gefährdet zu bezeichnen, wäre eine maßlose Untertreibung. Anfangs leugnet Paul die Ereignisse vor sich, vor Tatiana, den Kindern, er spielt sie in ihrer Größenordnung herunter. Aus Selbstschutz. Aus Angst. Dabei wird es nicht bleiben. Wie es Steven Spielbergs Protagonisten Oskar Schindler wirklich gab, so gibt es Paul Rusesabagina wirklich. Wie Schindler seine bildliche Blindheit besiegte und seine Liste erstellte, um Menschenleben zu retten, so wird Rusesabagina das Hotel, in dem er das Management übernimmt, da die Erste Welt ihre Leute abzieht, zu einem Flüchtlingsheim umfunktionieren. Wie Schindler wird er dazu alle erdenklichen Tricks aufbieten. Der Film stellt nicht die Frage nach den Gründen für den Hass
unter den Völkergruppen. Aber gibt es denn Gründe für kollektiven
Wahn... Vielmehr konzentriert sich Regisseur Terry George, als Ire mit
derartigen Krisen vertraut, auf die Verzweiflung der Betroffenen resultierend
aus der Konsequenz, dass sich die Erste Welt nicht konsequent einschaltete.
Paul, ein Farbiger, hatte sich in seiner Tätigkeit als Führungskraft eines Luxushotels
an ein Auftreten wie ein Europäer gehalten - er hatte sich assimiliert.
In der Erkenntnis, dass Ruanda nun allein dasteht, reißt er sich
in einer Szene allegorisch die Krawatte herunter, das teure Hemd kaputt.
Besser kann man es nicht bildlich formulieren, wie man sich als Farbiger,
als Bewohner der Dritten Welt, als Mensch dritter Klasse fühlen muss.
Besser kann man es zudem nicht bildlich formulieren, wie Teile der Ersten
Welt gern geholfen hätten, von ihrer Machtlosigkeit aber überrumpelt
waren, als in Nick Noltes Darstellung des Colonel Oliver.
Paul Rusesabagina lebt mit seiner Familie heute in Belgien; 1996 emigrierte
er als Flüchtling. Lange hielt er sich von Ruanda fern. Die Kinoaufführung
von "Hotel Ruanda" zwingt ihn dieser Tage regelrecht dazu, ins Heimatland
zurückzukehren. Auf ihn soll ein heißer Empfang als Verräter
der Hutu warten. Man kennt das: Deutschlands Bundesaußenminister
Joschka Fischer setzte ein Zeichen gegen Altnazis. Verstorbene Mitarbeiter
seines Ministeriums mit Vergangenheit sollten auf sein Geheiß nicht
mehr gewürdigt werden. Der Aufschrei ist nun groß. In Vergessenheit
und erst von Fischer postum geehrt starb ein Arbeitskollege namens Fritz
Kolbe. Er kämpfte aktiv gegen die Nazis.
Michael
Dlugosch /
Wertung: *
* * * (4 von 5)
Quelle der Fotos: Tobis Filmdaten Hotel Ruanda (Hotel Rwanda) Südafrika / GB / Italien 2004 Regie: Terry George; Darsteller: Don Cheadle (Paul Rusesabagina), Sophie Okonedo (Tatiana Rusesabagina), Joaquin Phoenix (Jack), Nick Nolte (Colonel Oliver), Cara Seymour (Pat Archer), Desmond Dube (Dube), David O'Hara (David), Fana Mokoena (General Augustin Bizimungo), Hakeem Kae-Kazim (George), Tony Kgoroge (Gregoire), Mosa Kaiser und Mathabo Pieterson (Pauls Töchter), Ofentse Modiselle (Roger Rusesabagina) u.a.; als Gast: Jean Reno (Pauls belgischer Chef); Drehbuch: Keir Pearson, Terry George; Produktion: A. Kitman Ho, Terry George; Co-Produktion: Bridget Pickering, Luigi Musini; Ausführende Produktion: Hal Sadoff, Martin F. Katz, Duncan Reid, Sam Bhembe, Roberto Cicutto, Francesco Melzi D'Eril; Co-Produktion: Keir Pearson, Nicolas Meyer, Izidore Codron; Kamera: Robert Fraisse; Musik: Andrea Guerra, Rupert Gregson-Williams, Afro Celt Sound System; Schnitt: Naomi Geraghty; Länge: 122 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Tobis Film GmbH & Co. KG
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