17.02.2016
Havarie
Womöglich wollen der Dokumentarfilmer Philip Scheffner und die Berliner Autorin Merle Kröger dem Publikum mit ihrem zweigleisigen Projekt "Havarie" einen Eindruck davon geben, wie es sich anfühlt, verloren auf dem Mittelmeer zu treiben. Womöglich wollen sie etwas Elementares vermitteln über den Umgang mit flüchtenden Menschen, die gefangen sind zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen einem neuen Leben und dem Tod. Oder vielleicht ist alles einfach nur gutes Marketing.
Auf reißerische Schockbilder setzt der Film lobenswerterweise nicht. Vielmehr geht Scheffner ins entgegengesetzte Extrem. Auf der Leinwand erkennt man aufgrund der miserablen Bildqualität nur blaues Meer und einen Punkt am Horizont. Aus dem Infomaterial zum Film weiß man, dass es sich um ein Schlauchboot mit Flüchtlingen handelt. Der Film liefert visuell nur diese rund dreiminütige Videoaufnahme, auf zermürbende 93 Minuten ausgedehnt. Aus dem Off sprechen Menschen, die im doppelten Sinne gesichtslos bleiben: "Es ist ein permanenter Zustand des Wartens", heißt es einmal. Wohl wahr, denn man wartet auch als Zuschauer bald auf das Ende. "Wie lange dauert es noch?", fragt einmal eine der Hintergrundstimmen. Keine Ahnung, Stunden? Dabei sitzt man schon gefühlt Stunden im Kinosaal... Einmal erscheint im Bild die Flanke eines Kreuzfahrtschiffs – wer die Buchvorlage gelesen hat, weiß, welches. Draus könnte eine poignante Gegenüberstellung von Elend und Verzweiflung auf der einen Seite sowie Überfluss und Materialismus auf der anderen werden. Doch dieses Mal gelingt dem Regisseur weder auf dokumentarischer, noch auf fiktionaler Ebene, die Verdichtung von Informationen oder die Konstruktion einer Handlung. Eine emotionale Einbindung des Zuschauers bleibt aus. Wenn das Projekt eines deutlich macht, dann, dass das Sektionen-Programm der Berlinale einer Vorauslese bedarf, mit dem Ziel, cineastische Filme von solchen zu trennen, die sich eher als künstlerische Installation eignen. Man möchte Kröger und Scheffner glauben, dass "Havarie" mit den besten Absichten entstand – auf filmischer Ebene jedoch erleidet er Schiffbruch. Lida Bach /
Wertung: * *
(2 von 5)
Quelle des Fotos: pong Filmdaten Havarie Deutschland 2016 Regie: Philip Scheffner; Mitwirkende: Rhim Ibrir, Abdallah Benhamou, Leonid Savin, Terry Diamond, Emma Gillings, Guillaume Coutu-Lemaire, Jackie Kelly u.a.; Drehbuch: Merle Kröger, Philip Scheffner; Produzenten: Merle Kröger, pong Film, Meike Martens, Blinker Filmproduktion, Peter Zorn, Worklights Media Production, Marcie Jost, Worklights Media Production; Kamera: Terry Diamond, Bernd Meiners; Musik: Blue Waters Band; Schnitt: Philip Scheffner; Länge: 96,58 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; deutscher Kinostart: 26. Januar 2017
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