März 2002
Hamlet (2000)
"Hamlet" oder nicht "Hamlet", das ist hier die Frage! In diesem Fall lautet die Antwort: Lieber nicht! Dies hier ist eigentlich keine sinnvolle Hamlet-Inszenierung, eher ein Film über Hochhäuser in New York. Aber auch die sind schon interessanter verfilmt worden, nämlich von Andy Warhol in seinem achtstündigen Film "Empire", in dem nichts außer dem Empire State Building zu sehen ist.
Ein anderes Problem dieser Adaption fürs 21. Jahrhundert liegt zweifellos in der kühnen Übernahme des Originaltextes. Wenn Urban-Karrieristen, die nie und nimmer aus ihren Lofts und Penthouses herauskommen, die bestenfalls auf dem Friedhof mal ein (fallendes) Blatt erblicken, die ganze Zeit in Naturmetaphern konversieren, als seien sie auf dem Lande aufgewachsen, als hätten sie die Mysterien der Natur mit der Muttermilch aufgesogen, dann ist das schon ein kräftiger Kontrast, so unerträglich kräftig, dass er sehr schnell ermüdet. Und so agieren die Darsteller in verkrampfter Hilflosigkeit mit Laptops, Mobiltelefonen und unhandlichen Pistolen an Shakespeares Texten entlang. Unglaubwürdig wirken sie von Anfang bis Ende, wahrscheinlich nicht, weil Hamlets Thema, der Generationenkonflikt, die Unfähigkeit zur Rebellion, - überholt wäre, aber weil Regisseur Almereyda offenbar keine Arbeit darin investiert hat, diesen Stoff adäquat auf die Gegenwart zu übertragen, was bedeutet hätte, vor allem die Sprache, aber auch die Geschichte für das Hier und Jetzt zu übersetzen. Erst wenn das versucht worden wäre, wäre "Hamlet" ein interessantes Experiment gewesen, eine Untersuchung der Frage, ob Shakespeares Stoff auch heute noch funktioniert. Sich allein darauf zu verlassen, dass "Hamlet" unbegrenzte Halbwertzeit, dass Shakespeare zeitlose Texte geschrieben hat, also rigoros einer Poesie aus dem Jahr 1600 zuzutrauen, dass allein sie die Geschichte trägt und überträgt, ungeachtet der Widersprüche zwischen Monarchie und Hochkapitalismus, zwischen Brieftaube und Handy, zwischen Gedankenfreiheit und Datenüberwachung, scheint bestenfalls naiv. Bewusst auf diesen Riss zwischen historischem Text und turbokapitalistischem Setting zu setzen, wirkt dann doch wie Kulissenschieberei, Tricktäuscherei und Pseudobildungsdünkel. Offenbar ist dieses Verfahren aber noch raffiniert genug, kulturbeflissenen Zielgruppen - man durfte es im Kino verfolgen - einen widerspruchslosen, etwas verunsicherten Glanz in die Augen zu treiben, frei nach dem Motto: Gerade weil ich nicht viel verstanden habe, muss ich soeben wohl große, zeitgemäße Filmkunst erlebt haben. Andreas Thomas /
Wertung: *
(1 von 5)
Quelle des Filmplakats: Kinowelt Filmdaten Hamlet (2000) USA 2000 Regie und Drehbuch (nach William Shakespeares Hamlet): Michael Almereyda; Darsteller: Ethan Hawke (Hamlet), Kyle MacLachlan (Claudius), Sam Shepard (Geist), Diane Venora (Gertrude), Bill Murray (Polonius), Liev Schreiber (Laertes), Julia Stiles (Ophelia), Karl Geary (Horatio), Steve Zahn (Rosencrantz), Dechen Thurman (Guildenstern), Jeffrey Wright, Casey Affleck, Tim Blake Nelson u.a.; Produktion: Jason Blum, John Sloss; Kamera: John de Borman; Musik: Carter Burwell; Schnitt: Kristine Boden; Länge: 123 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 23.11.2000
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