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16.10.2012
Große Erwartungen (2012)
"Wie kann es Schönheit geben ohne ein Herz?" Die Frage, die der Waisenknabe Pip (Toby Irvine) in Mike Newells Verfilmung von "Great Expectations" aufwirft, beschäftigte Charles Dickens so sehr, dass er eine ganze Romanerzählung über den aufstrebenden Handwerkslehrling und dessen zahlreiche Wegelagerer der ausschweifenden Antwort widmete. Newells Kinoadaption indes verflacht die emotionale Verunsicherung zum rhetorischen Manöver. Es ist Teil einer prätentiösen Strategie der Selbstrechtfertigung, die zugleich Selbstbetrug und Täuschungstaktik ist. Sie verfolgt der schleppende Kostümfilm des britischen Regisseurs noch bedenkenloser als der Hauptcharakter.Pip ist der Name, mit dem er gemeinhin angesprochen wird und den beizubehalten er garantieren muss, als gebühre ihm kein bürgerlicher Name. An den erinnern nur die elterlichen Grabsteine, die der kleine Junge in der Eröffnungsszene am Weihnachtstag von Moos befreit. Bei Dickens schürt nichts das Mitgefühl des Publikums besser als Waisenkinder und Weihnachten. Ein verwaister Knabe, den eine zänkische Schwester (Sally Hawkins) mit Schlägen und Schimpfen aufzieht und der Heiligabend bei seinen toten Angehörigen vor malerischer Kirchhofkulisse in Kälte und Nebel zubringt, hat in einem Dickens-Roman in der Tat Anspruch auf "Große Erwartungen". Pips Weihnachtsgeschenk liegt statt unterm Tannenbaum in Ketten und heißt Abel Magwitch (Ralph Fiennes). Mit der erzwungenen Hilfe des Jungen befreit der Sträfling sich und befreit im Gegenzug später Pip durch Geldzuwendungen aus der Schmiede seines einfältigen Stiefvaters Joe Gargery (Jason Flemyng). Der sozialen Fesseln ledig, hält den ehrgeizigen jungen Mann (jetzt gespielt von Jeremy Irvine) nichts mehr in dem unkultivierten Umfeld, in das er sich bei seinem ersten Fortbleiben als Kind noch zurücksehnt.
"Es gibt so viele Versionen dieser Geschichte, die ich alle gesehen habe und von denen ich keine besonders sexy fand", sagt Newell. Traurig aber wahr, daran ändert seine eigene Adaption nichts. Wer im Kino große Erwartungen hegt, wird von "Great Expectations" bitter enttäuscht. Lida Bach /
Wertung: * *
(2 von 5)
Quelle der Fotos: Senator Filmdaten Große Erwartungen (2012) (Great Expectations (2012)) GB / USA 2012 Regie: Mike Newell; Darsteller: Jeremy Irvine (Pip), Holliday Grainger (Estella), Ralph Fiennes (Magwitch), Helena Bonham Carter (Miss Havisham), Jason Flemyng (Joe Gargery), Ewen Bremner (Wemmick), Sally Hawkins (Mrs. Joe), Robbie Coltrane (Mr. Jaggers), Toby Irvine (junger Pip) u.a.; Drehbuch: David Nicholls nach dem gleichnamigen Roman von Charles Dickens; Produktion: David Faigenblum, Elizabeth Karlsen, Emanuel Michael, Stephen Woolley; Kamera: John Mathieson; Musik: Richard Hartley; Schnitt: Tariq Anwar; Länge: 128,35 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Senator Film Verleih GmbH; deutscher Kinostart: 13. Dezember 2012
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