03.10.2014

Get - Der Prozess
der Viviane Amsalem


Erdrückend wirken die Räume des Rabbinergerichts. Endlos ziehen sich die Befragungen und Streitereien von Freunden, Familienmitgliedern und dem Paar selbst. Erschöpft und genervt wirken die Richter. Doch der Ehemann will nicht zur Scheidung zustimmen. Er hat das Sagen und ihm obliegt das letzte Wort im Scheidungsprozess. Elisha Amsalem steht über dem Gesetz.

Der Anfang des Films ist genau wie der Prozess selbst. Subjektiver und absurder könnten Befragungen nicht ablaufen. Ob er ein guter Ehemann sei, werden die Zeugen gefragt. Vorbildlich. Ob sie eine gute Ehefrau sei? Vorbildlich. Er schlägt sie nicht. Sie betrügt ihn nicht. Alles scheint doch wunderbar. Es gibt keinen evidenten Grund für eine Scheidung. Also warum will sie nicht zu ihm zurückkehren? Warum möchte Viviane so sehr den Get, einen Scheidungsbrief?

Get - Der Prozess der Viviane Amsalem Es ist gerade dieses vage Auseinanderdriften zweiter Personen und der nicht greifbaren Gefühle, die auf eine längst verstaubte Welt einer orthodoxen religiösen Ordnung trifft. Wie sollen Verwandte und Freunde in die Gefühlswelt des Paares eintauchen und bezeugen, dass es einen triftigen Grund für eine Scheidung gibt? Wie soll ein objektiver, gesetzeskonformer Grund gefunden werden? Es gibt ihn nicht. Und so steht und fällt Vivianes Schicksal mit der Entscheidung ihres Mannes. Get, wie der Scheidungsbrief im Hebräischen genannt wird, muss speziell vor Zeugen ausgestellt und der Frau überreicht werden. Ist der Ehemann scheidungsunwillig, so hat das Rabbinergericht nur begrenzt Möglichkeiten, Druck auszuüben. Dem Ehemann kann beispielsweise der Führerschein entzogen werden. Elisha hat jedoch keinen Führerschein und so sind dem Gericht die Hände gebunden.

"Gib mir meine Freiheit", schreit Viviane wütend und möchte sich aus den Fängen ihrer Aufpasser losreißen. Doch gerade das ist nicht einfach. Sie wirkt in den Augen der Richter wie eine aufmüpfige Frau als sie statt der gewohnten Perücke einer verheirateten Gläubigen ihre Haare offen trägt und sogar ihren Dutt auflöst. Sie wisse doch, wo der Platz einer Frau sei, mahnt der Richter Viviane vorwurfsvoll und empört an. Die scheinbar kleinen Sticheleien setzen Viviane sichtlich zu. Ihre Augen wirken zuweilen müde und erschöpft. Elisha kommen die engen Grenzen des Gesetzes gerade recht. Der stoische Starrkopf ändert sogar in letzter Sekunde seine Zustimmung zur Scheidung in ein striktes Nein als er öffentlich bekennen muss, Viviane für andere Männer freigeben zu müssen.

Die Szenerie ändert sich nicht. Es sind die Flure des Gerichts, kahle Warte- und Verhandlungsräume. Man erhascht erst einen Blick nach draußen, als sich der Prozess nach fünf Jahren seinem Ende nähert und Viviane Hoffnung hat, endlich den Scheidungsbrief von ihrem Ehemann überreicht zu bekommen. Durch schlecht geblasenes Fensterglas blickt der Zuschauer gemeinsam mit Viviane auf einen verzerrten Spielplatz und das bunte Treiben der Straße. Die Freiheit ist in greifbarer Nähe.

Get - Der Prozess der Viviane Amsalem Der letzte Teil einer Trilogie der Geschwister Ronit und Shlomi Elkabetz beendet den langen Weg von Viviane, die um eine Scheidung von ihrem Mann kämpft. Die gefeierte israelische Schauspielerin Ronit Elkabetz führt nicht nur Co-Regie, sondern spielt auch Viviane. Ihre Darstellung ist wunderbar vielseitig. Mal sitzt Ronit am Tisch und starrt gedankenversunken vor sich hin. Mal bricht sie in schallendes Gelächter aus. Mal zeichnet sich in ihren rot umrandeten und feuchten Augen die schiere Verzweiflung ihrer Situation ab. Ebenso winden sich die übrigen Darsteller wie Kanarienvögel in einem viel zu kleinen Käfig – eine äußerst authentische Darstellung einer so fern erscheinenden patriarchalischen Wirklichkeit einer so fortschrittlich erscheinenden Gesellschaft.  

Margarethe Padysz / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Riva Filmproduktion (über die Seite des Filmfests Hamburg)

 
Filmdaten 
 
Get - Der Prozess der Viviane Amsalem (Gett) 
 
Israel, Frankreich, Deutschland 2014
Regie & Drehbuch: Ronit & Shlomi Elkabetz;
Darsteller: Ronit Elkabetz, Menashe Noy, Simon Abkarian, Sasson Gabai, Eli Gornstein, Gabi Amrani-Gur u.a.;
Produzenten: Sandrine Brauer, Marie Masmonteil, Shlomi Elkabetz, Denis Carot, Michael Eckelt; Kamera: Jeanne Lapoirie; Musik: Dikla, Shaul Beser; Schnitt: Joëlle Alexis;

Länge: 115,54 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih der Salzgeber & Co. Medien GmbH; deutscher Kinostart: 15. Januar 2015



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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