20.02.2016
Genius - Die tausend Seiten einer Freundschaft
![]() New York in den Zwanzigerjahren. Es ist das New York von Schriftstellergrößen wie Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald. Noch kennt niemand Thomas Wolfe. Der steht eines Tages im Büro des Mannes, der den beiden eben genannten zum Durchbruch verhalf, steht immer wieder auf, obwohl er mehrfach aufgefordert wird, Platz zu nehmen, gestikuliert wild und frotzelt missmutig: "Warum schicken Sie mir die Absage nicht per Brief? Ich ziehe es vor, meine Absagen per Brief zu bekommen." Perkins schließlich nutzt eine Lücke im Redeschwall des hypernervösen, gleichzeitig überschwänglichen und doch devoten Schreibers, um ihm mitzuteilen, er wolle ihn unter Vertrag nehmen. Einzige Bedingung: Wolfe soll sein überbordendes, mehr als tausend Seiten umfassendes Skript erheblich kürzen. Mithilfe des Lektors und Verlegers Perkins.
Die immer stärker hervortretende Vereinnahmung Maxwells durch Wolfe kritisiert seine Gattin, die gleich beim ersten gemeinsamen Abendessen von Wolfe abgekanzelt wird, weil sie sich als Dramatikerin einer angeblich minderwertigen und der Prosa unterlegenen Gattung verschrieben habe. Das mag – man denke an Grandages bisheriges Schaffen – als selbstreferentielle Ironie gemeint sein, lässt weibliche Kunstproduktion in der dargestellten Welt aber als irrelevant erscheinen. Überhaupt, das Frauenbild! Sowohl die Gattin von Perkins, schlimmer aber noch die Geliebte von Maxwell, Aline Bernstein, gehen zwar eigenen künstlerischen Tätigkeiten nach, definieren sich lediglich über die Aufmerksamkeit, die ihnen die Männer zuteilwerden lassen. Als Wolfe sich immer stärker im gemeinsamen Schaffensprozess mit Maxwell vergräbt, provoziert Aline mit einem hysterisch-theatralischem Suizid-Versuch, und Nicole Kidman muss dieses nach Beachtung heischende Nervenbündel verkörpern. Anstrengend. Wolfes Selbstüberschätzung gipfelt in einer rohen Beleidigung des Schriftstellerkollegen F. Scott Fitzgerald (Guy Pearce) – ein spannendes Gegenmodell zu dem dauerpräsenten Drauflosschreiber, dem die Regie durchaus mehr Raum hätte geben können. Perkins verteidigt Scott daraufhin leidenschaftlich: "Wie viel haben Sie heute geschrieben? Tausend Worte? Fünftausend? Wenn er Glück hat, hat er hundert geschafft. Wenn es ein guter Tag für ihn war. Und er muss schreiben, so wie Sie!" Danach schweigt Wolfe endlich, und man atmet erleichtert durch, dass der distinguierte Gentleman Perkins auch mal die Contenance verlieren darf. "Genius" profitiert vor allem vom Wechselspiel seiner beiden gegensätzlichen Haupt-Protagonisten: Der raumgreifende, narzisstische, laute Megalomane hier, der zurückhaltende, empathische, bescheidene Denker da. Interessanterweise bleibt Colin Firth mit seiner präzisen, zurückgenommenen Spielweise stärker im Gedächtnis als der das Overacting strapazierende Jude Law. Der Plot selbst gibt nicht so viel her: Kunstproduktion (die, die ernst zu nehmen ist) ist selbstverständlich Männersache, ist potenziell toxisch für alle sonstigen Beziehungen – und macht nicht glücklich. Dennoch sehnt man sich gegen Ende des Films nach der "guten alten Zeit", in der der Erstling eines Autors knapp 800 Seiten umfassen durfte – und doch zum Bestseller wurde. Jasmin Drescher /
Wertung: * * *
(3 von 5)
Quelle der Fotos: Marc Brenner/Pinewood Films Filmdaten Genius - Die tausend Seiten einer Freundschaft (Genius) GB/USA 2016 Regie: Michael Grandage; Darsteller: Colin Firth (Maxwell Perkins), Jude Law (Thomas Wolfe), Nicole Kidman (Aline Bernstein), Laura Linney (Louise Perkins), Guy Pearce (F. Scott Fitzgerald), Vanessa Kirby (Zelda Fitzgerald), Dominic West (Ernest Hemingway) u.a.; Drehbuch: John Logan; Produzenten: James Bierman, Michael Grandage, John Logan; Kamera: Ben Davis; Musik: Adam Cork; Schnitt: Chris Dickens; Länge: 104,39 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; deutscher Kinostart: 11. August 2016
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