11.06.2023

Intelligente Parodie auf Whodunit-Klassiker

Eine Leiche zum Dessert

Gaga-Humor. Mit vielen prominenten Schauspielern (Alec Guinness, David Niven, Maggie Smith, Peter Sellers, Peter Falk etc.). Der legendäre Schriftsteller Truman Capote in seinem einzigen Spielfilmauftritt führt die Riege der Darsteller an. Die absurde Komödie aus dem Jahr 1976 persifliert das Krimi-Genre, indem fünf berühmte Meisterdetektive in ein jwd gelegenes Schloss eingeladen werden. Sie sollen einen Mord aufklären - der noch nicht geschehen ist, in Konkurrenz zueinander. Der Sieger erhält eine Million Dollar. Und sie kommen: Miss Marple. Sam Spade. Nick Charles. Hercule Poirot. Und Charlie Chan. Im Film sind ihre Namen leicht verändert. Aber der Zuschauer erkennt sie sofort wieder, auch weil ihre Eigenarten, die von ihren Autoren erfunden worden waren, gnadenlos parodiert wiedergegeben werden. Dick Charleston und seine Frau Dora (Nick und Nora Charles aus den "Der dünne Mann"-Filmen) benötigen stets einen Drink, gespielt von David Niven und Maggie Smith. Milo Perrier (James Coco) alias Hercule Poirot steht dem in Nichts nach, aber bezüglich Essen. Sidney Wang (Peter Sellers) aka Charlie Chan redet schiefe Sätze. Sam Diamond alias Sam Spade aus "Die Spur des Falken" beherrscht sich nicht, ist ein Vollproll, aber in lustiger Form. Dessen Besetzung ist der Knaller des Films schlechthin, Peter Falk konterkariert sein Image als schusselig wirkender Inspektor Columbo. Ein Sonderlob an seinen Synchronsprecher, Harald Juhnke. Nur zu Jessica Marbles (Elsa Lanchester), besser bekannt als Miss Marple, fällt Autor Neil Simon und Regisseur Robert Moore nicht viel ein, oder sie sind einfach gentlemanlike gnädig.

Agatha Christie war 1976 gerade gestorben, da kam "Eine Leiche zum Dessert" in die Kinos. Sie konnte sich somit, kaum angekommen, sofort im Grabe umdrehen, weil ihre berühmten Figuren Miss Marple und Hercule Poirot durch den Kakao gezogen werden, speziell Poirot. Der französische, pardon, belgische Schnüffler Perrier hat stets Hunger. Selbst bei Mordermittlungen wird er diese noch auf Essen beziehen. Und die Ermittlungen wird es in dem Film geben. Erfolgreich? Die fünf Meisterdetektive sind gezwungen, einen Mord aufzuklären, der angekündigt war und sie deswegen aus Neugierde anreisen. Gastgeber ist der exzentrische Lionel Twain (der exzentrische Schriftsteller Truman Capote). Er und sein Butler (Alec Guinness) werden in der ersten Filmszene eingeführt. Der Butler ist blind. Dumm nur, dass bald eine Köchin ankommen wird, die mit ihm nicht kommunizieren kann: Yetta (Nancy Walker) ist taubstumm. Eine von vielen Kuriositäten des Films. Der ganze Film ist ein Kuriosum. Vor allem ist der Sprachwitz zu rühmen. Sam Diamond und seine Geliebte Tess (Eileen Brennan) sitzen bei der Anfahrt im Auto. Das Benzin geht aus. Also muss Tess alleine fünf Meilen zur letzten Tankstelle zurückgehen. Sam bleibt im Auto und wartet. Im Nachhinein erfährt der Zuschauer: Sie ging ein weiteres Mal alleine, denn auch das Gas war alle. Derselbe Sam Diamond wird mal zu sich selber sagen: "Geschlossen, von innen. Das kann nur eines bedeuten. Und ich weiß nicht, was." Das Schloss, umnebelt, im Dauergewitter, verstaubt, hat seine Tücken: Nicht nur, dass Gemälde oder Tierköpfe an den Wänden Gucklöcher haben. Auch Räume verschwinden. Werden ausgetauscht. Ein erster Mord findet statt, die Leiche sitzt am Tisch, mal mit Kleidung, im nächsten Augenblick ist nur die Kleidung da, im übernächsten Augenblick, bei der nächsten Visite, sitzt der Tote nackt am Tisch. Bald darauf trägt Perrier die Kleidung des Ermordeten und weiß selbst nicht, wieso. Die schwächste Idee der Filmemacher.

Anleihen gibt es bei zwei Agatha-Christie-Romanen, "Zehn kleine Negerlein" und "Mord im Orient-Express". Ersterer insofern, als dass die Detektive und ihre Begleitungen über das Wochenende eingesperrt sind. Letzterer, weil, kaum dass der angekündigte Mord geschehen ist, plötzlich alle ein Mordmotiv haben! Genüsslich entlarven die Meisterschnüffler untereinander, wie sie negativ zum Mordopfer standen. Skurril, absurd. Der Hintergrund: Autor Neil Simon macht sich über Krimis wie "...Orient-Express" lustig, in denen alle Grund genug gehabt hätten, zur Mordwaffe zu greifen. Das Ende des Films ist wiederum plausibel in aller Unplausibilität. Der Mörder, den der Zuschauer am Schluss des Films sieht, hat seinen Spaß gehabt. Weil er alle narrte.

Wer als Zuschauer einen Hauch Grusel im Whodunit-Rätsel liebt, ist hier fast richtig. Fast, denn die Whodunit-Krimi-Narration ist in "Eine Leiche zum Dessert" aufgehoben. Dennoch funktioniert der Film nahezu perfekt, er langweilt keine Sekunde, er erzielt Dauerlacher. Der acht Jahre später an AIDS gestorbene Regisseur Robert Moore, ein Theatermann, wusste genau, wie er den Film zu inszenieren hat.

Peter Falk und Eileen Brennan wiederholten ihre Rollen unter anderen Figurennamen und erneut nach dem Drehbuch von Neil Simon und unter der Regie von Robert Moore in "Der Schmalspurschnüffler" (1978).  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5)



Filmdaten

Eine Leiche zum Dessert
(Murder by Death)

USA 1976
Regie: Robert Moore;
Darsteller: Truman Capote (Lionel Twain), Alec Guinness (Jamesir Bensonmum), Peter Sellers (Sidney Wang), David Niven (Dick Charleston), Maggie Smith (Dora Charleston), Peter Falk (Sam Diamond), Eileen Brennan (Tess Skeffington), Elsa Lanchester (Jessica Marbles), James Coco (Milo Perrier), Richard Narita (Willie Wang), James Cromwell (Marcel), Nancy Walker (Yetta), Estelle Winwood (Miss Withers);
Drehbuch: Neil Simon; Produzent: Ray Stark; Kamera: David M. Walsh; Musik: Dave Grusin; Schnitt: John F. Burnett;

Länge: 95 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 17. September 1976



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"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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