02.10.2016
Wenig Liebe, viel Finsternis

Eine Geschichte
von Liebe und Finsternis


Eine Geschichte von Liebe und Finsternis Leider nur in Andeutungen von umwälzenden geschichtlichen Ereignissen, Gräueltaten, und der Analyse einer Depression bleibt das Regiedebüt von Natalie Portman stecken. Ein Film, der trotz vieler Schwächen eine durchgehend melancholische Stimmung gut aufrechterhalten kann. Und der seine Stärken aus der hervorragenden schauspielerischen Leistung der Hauptdarstellerin, der romantischen Optik, wie auch nicht zuletzt der – wenn auch nur ungenügend erklärten – zeitgeschichtlichen Authentizität schöpft.

Die junge dreiköpfige jüdische Familie Oz (Herkunftsfamilie des bekanntesten israelischen Schriftstellers Amos Oz) wandert 1945 nach Jerusalem aus und erlebt dort die labile Annäherung der Immigranten an einheimische Palästinenser, die sich in kleinen Schritten zum Konflikt und letztendlich zum Krieg entwickelt. Der Film setzt schon hier viel Wissen voraus, das zweifelsohne auch bei vielen – aber eben nicht von allen Zuschauern erwartet werden kann. Nur in einer ausgewählten Szene wird die zerbrechliche Kommunikation zwischen jüdischen und muslimischen Familien veranschaulicht, als beim Spielen der Kinder ein Unfall geschieht, der auch die Eltern auseinanderreißt. Als nach dem UN-Votum im November 1947 die Unabhängigkeit Israels ausgerufen wird und Krieg ausbricht, wird dieser von Nebenschauplätzen aus erzählt, so dass der kriegerische Konflikt, trotz punktueller Sekundenaufnahmen von zivilen Kriegsopfern irreal wirkt. Es soll dies die kindliche Perspektive des zehnjährigen Amos (Amir Tessler) sein, die aber nicht konsequent eingehalten wird – die naive Sicht vermengt sich mit der Sicht der Erwachsenen. Der Blickpunkt des gealterten Amos Oz als Erzähler kommt hinzu. Diese Durchmischung von Perspektiven macht den Film letztendlich ambivalent.

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis Trotz der suggerierten kindlichen Perspektive ist der Charakter des Kindes, Amos, nicht handelnd, sondern ausschließlich beobachtend. Der Zuschauer erfährt dadurch zu wenig über das Innenleben des Jungen, sondern mehr über die Eltern – vor allem über die genau beobachtete Mutter Fania (Natalie Portman), deren Depression in verschiedenen Stadien minutiös aufgezeigt wird. Das Hauptstück des Films, die traumatischen Erlebnisse der Mutter während der Kindheit, ihre romantische Verträumtheit, die an der Realität scheitert, und letztendlich das Überhandnehmen einer schweren Depression, begleitet von schweren Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit, bleiben optisch in der Erinnerung haften, weil sie darstellerisch meisterhaft sind. Die lichtarmen Aufnahmen im Halbdunkel suggerieren Kälte und münden am Ende in Feuchtigkeit und Regen. Portman spielt mit gekonnter Zurückhaltung. Am wenigsten positiv wirkt die Gestalt des selbstverliebten Vaters Arieh (Gilad Kahana), der als Bibliothekar und Akademiker Amos gerne Vorträge über Sprachwissenschaft hält, aber sonst emotional distanziert am Familienleben teilnimmt. Sein Versagen als Ehemann, wohl auch einer der Gründe für die Depression der Mutter, ist wieder ein Perspektivwechsel, der vom Kind ablenkt. Sein Unbeteiligtsein als Vater wäre da wohl eher relevant gewesen.

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis Leider kann man in der deutschen Synchronfassung nicht dem schönen Klang des Hebräischen lauschen, für das sich die Regisseurin und Drehbuchautorin klugerweise entschied. Nicht nachvollziehbar, aber möglicherweise Teil der depressiven Erkrankung ist die Tatsache, dass die Mutter ihrem erst zehnjährigen Kind zum Teil furchterregende Geschichten erzählt, oder ihm gestattet, im Versteck den Gesprächen von Erwachsenen zu folgen, die von grausamen Todesszenarien erzählen. Diese für beide fast überlebenswichtigen Geschichten nähren jedoch die Fantasie des späteren Schriftstellers, und sie bilden ein starkes Band der Liebe zwischen Mutter und Sohn. Was übrig bleibt, nachdem der Strom dieser verbindenden Geschichten versiegt, sind die traurigen Bilder, das Mitgefühl für eine leidende Frau, und dennoch das vielversprechende Potenzial für zukünftige Werke, das in der Regiearbeit und dem Drehbuch steckt.  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Ran Mendelson

 
Filmdaten 
 
Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (A Tale of Love and Darkness) 
 
Israel/USA 2015
Regie: Natalie Portman;
Darsteller: Natalie Portman (Fania), Gilad Kahana (Arieh), Amir Tessler (Amos), Makram Khoury (Halawani), Alexander Peleg (alter Amos), Shira Haas (Kira), Neta Riskin (Haya) u.a.;
Drehbuch: Natalie Portman nach dem Roman von Amos Oz; Produzenten: Ram Bergman, David Mandil, Natalie Portman; Kamera: Slawomir Idziak; Musik: Nicholas Britell; Schnitt: Andrew Mondshein;

Länge: 98,19 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Koch Films GmbH; deutscher Kinostart: 3. November 2016



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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