10.08.2012
Gefiederter Freund

Ein griechischer Sommer


Ein griechischer Sommer "Manche Geschichten werden von Generation zu Generation weitergegeben", sagt Yannis zu Beginn von Olivier Horlaits optimistischem Inselabenteuer "Ein griechischer Sommer". Mit seinen vierzehn Jahren zählt der Fischersohn (Thibault Le Guellec), der mit seinem Vater Demosthenes (Emir Kusturica) auf der kleinen griechischen Insel Zora lebt, noch zur jüngsten Generation. Doch der nachdenkliche Held der ungewöhnlichen Freundschaftserzählung, die Drehbuchautor Eric Boisset nach seinem eigenen Roman für die Kinoleinwand adaptierte, erkennt etwas besonderes, wenn er es sieht. Auch wenn es ein mageres, graues Federknäuel ist, das Yannis unter der rostigen Bodenluke eines Frachtschiffs findet.

"Das war garantiert kein gewöhnlicher Vogel", weiß Yannis. Was für ein Vogel es ist, weiß er jedoch nicht. Der unwirsche Kapitän (Yves Nadot), den Yannis im Auftrag von Demosthenes mit schwarz destilliertem Raki beliefert, um das geringe Einkommen aufzubessern, hat dafür konkrete Vorstellungen. Der Vogel sei ein Sammlerstück, erklärter er dem mitleidigen Jungen: "Der ist viel wert." Wie Recht er hat und wie umfassend der Satz die warmherzige Coming-of-Age-Story beschreibt, wird sich im Laufe des eigensinnigen Kinderfilms zwischen Ernst und Frohsinn noch zeigen. Zuerst einmal ist viel wert so viel wie das Goldkreuz von Yannis toter Mutter. Ihr Kreuz hinterließ sie ihm, verrät seine Erzählerstimme und deren mühevoller Unterton lässt erahnen, dass mit Kreuz zugleich eine seelische Last gemeint ist. Diese Bürde ist mürrisch, eigenbrötlerisch und raubeinig und trägt den Namen Demosthenes. Er darf nichts erfahren von dem eigentümlichen Federfreund, den sein Sohn gegen das goldene Andenken getauscht hat. Doch der Hausziege Kitza missfällt der heimliche Mitbewohner und ein Riesenvogel von anderthalb Metern Körperhöhe ist auf Zora schwer zu verbergen – besonders, wenn er so anhänglich und gewieft ist wie "Nicostratos, der Pelikan".

Ein griechischer Sommer Der Titel der Buchvorlage ist auch der Originaltitel des Spielfilmdebüts, das Horlait vor malerischer Mittelmeerkulisse inszeniert. Der idyllische Hintergrund erscheint fast märchenhaft fern von dem krisengeschüttelten Griechenland, welches zumindest die erwachsenen Zuschauer kennen. Zwar herrscht auch auf Zora nicht nur eitel Sonnenschein, doch verfliegen die Wolken am azurblauen Himmel zu rasch, um die Szenerie mit Schattenseiten zu trüben. Die Schwierigkeiten, die Yannis und Demosthenes mit dem Auskommen durch Fisch-, Ziegenkäse- und Schnaps-Verkauf haben, scheinen zu beiläufig und schnell gelöst, um bedrohlich zu sein. Dass Kitza einen Tagesverdienst frisst, quittiert Yannis gleichgültig, die wenig orthodoxen Inselmönche werden von den Einwohnern freigiebig beschenkt, Touristen strömen vom Festland und zahlen Wucherpreise für einen Schnappschuss mit Nicostratos.

Der wird buchstäblich im Flug zum Ortsmaskottchen, aus dem besonders Kneipenwirt Aristoteles (Francois-Xavier Demaison) Profit schlägt. "Du posierst vor der Terrasse. Das sieht super aus im Sonnenuntergang", beschreibt Aristoteles ein Szenenbild, das "Ein griechischer Sommer" an anderer Stelle fast exakt kopiert. Besser als sonnige Panoramen und pittoresker Lokalkolorit stehen der modernen Tierfabel die Beziehungsdynamik der Figuren an: der wortkarge und dennoch glaubhafte Konflikt zwischen Vater und Sohn sowie die äußerlich oberflächliche, emotional jedoch tiefe Zuneigung zwischen Yannis und Aristoteles quirliger Nichte Angeliki (Jade-Rose Parker). Ihre Lebensfreude steht im Kontrast zu den Selbstzweifeln des Helden, der schon nach Nicostratos´ Rettung die Fragen wälzt, die er sich meist im Stillen während der Handlung mehrfach stellt: "War das eine gute Idee? War das die richtige Entscheidung?"

Statt ein strenges Wertschema zu bemühen zeigt "Ein griechischer Sommer", dass die Antwort meist eine Frage der Lebenssituation und Perspektive ist. In dieser Bedachtsamkeit liegt der Charme des aufmunternden Familienfilms, der den gleichen Eindruck hinterlässt wie der Pelikan bei Yannis: "Er war komisch und rührend zugleich."  

Lida Bach / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Neue Visionen

 
Filmdaten 
 
Ein griechischer Sommer (Nicostratos le pélican) 
 
Griechenland / Frankreich 2011
Regie: Olivier Horlait;
Darsteller: Emir Kusturica (Demosthenes), Thibault Le Guellec (Yannis), François-Xavier Demaison (Aristoteles), Jade-Rose Parker (Angeliki), Gennadios Patsis (Popa Kosmas), Valériane de Villeneuve (Madame Karoussos) u.a.;
Drehbuch: Olivier Horlait, Eric Boisset; Produktion: Wesh Wesh Productions & Studio 37 & Nexus Factory in Ass. mit Black Orange; Produzent: Alain Grandgerard; Kamera: Michel Amathieu; Musik: Panayotis Kalantzopoulos;

Länge: 91,49 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih von Neue Visionen; deutscher Kinostart: 11. Oktober 2012



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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