10.09.2019

Die Thomaner (2012)

Der Thomanerchor zu Leipzig (Gründungsjahr: 1212) zählt zu den renommiertesten Knabenchören der Welt. Im Drei-Jahres-Zyklus bildet die Thomasschule rund 100 professionelle Sänger pro Jahrgang aus, die auf allen Erdteilen gefeierte Konzerte geben. Seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts leitet der Dirigent Georg Christoph Biller den Chor und hält die Internatsschüler aller Altersstufen mit Herz und Härte beisammen. Die im Genre der Musikdokumentation erfahrenen Filmemacher Paul Smaczny und Günter Atteln wählen den Chorleiter wohl auch wegen seiner unbestreitbaren Präsenz als Schlüsselfigur ihres lohnenswerten Dokumentarfilms: Zwar kommen auch viele der Schüler und weiteren Beteiligten zu Wort, doch letztlich ist es immer wieder Biller, der die Zusammenschau eines kompletten Schuljahres an der Thomasschule kommentiert, einordnet und in einen Kontext setzt.

Gelungen ist der Einblick in die Arbeitsweise des Chors und das Alltagsleben im Internat vor allem deswegen, weil "Die Thomaner" eine wertneutrale wie vielschichtige Darstellung wagt, die den Zuschauer*innen Raum für eigene Wertungen lässt – schließlich ist der streng reglementierte Tagesablauf im Internat weder jedermanns Sache, noch sonderlich der Individualisierung der Gegenwart entsprechend. So fragt sich beispielsweise einer der Thomaner, was "normale" Schüler den ganzen Tag über machen, wenn sie nach der Penne ihre Hausaufgaben erledigt haben – vorstellen kann er sich nur, dass sie vermutlich vor dem Fernseher sitzen. Doch ganz so militärisch geht es im Leipziger Internat dann doch nicht zu, denn schließlich gibt ja Georg Christoph Biller den Ton an, der seine Herangehensweise treffend auf den Punkt bringt: "Mein System ist es, keins zu haben, denn ein System ist bequem."

Wie die meisten Dokumentarfilme ist "Die Thomaner" eine gute Viertelstunde zu lang. Einige interessante Themen wie die Beziehung zwischen Kirche, Glaube und Musik werden trotzdem nur am Rande angeschnitten, was neben der filmisch recht biederen Umsetzung im Stil einer Fernsehreportage für eine Milderung des Kinoerlebnisses sorgt. Doch das ist letztlich halb so wild, denn die Doku verführt das Publikum regelmäßig – und stets zur rechten Zeit – mit humorvollen und schönen Szenen, die im Gedächtnis haften bleiben.



Diese Filmkritik ist zuerst erschienen bei fluter.de.

 

Christian Horn / Wertung: * * * * (4 von 5)



Filmdaten

Die Thomaner (2012)


Deutscher Alternativtitel: Die Thomaner - Herz und Mund und Tat und Leben

Deutschland/Japan 2012
Regie: Paul Smaczny, Günter Atteln;
Drehbuch: Günter Atteln; Produzent: Paul Smaczny; Kamera: Andreas Köppen, Michael Boomers, Christian Schulz; Musik: Karl Atteln; Schnitt: Steffen Herrmann;

Länge: 113,35 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; deutscher Kinostart: 16. Februar 2012



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