19.04.2013
Die Lebenden
![]() Barbara Albert lieferte 1999 mit ihrem ersten Langspielfilmdebut "Nordrand" eine fulminante Milieustudie, die mitunter den Österreichern jenen Zahn der Intoleranz und Scheinheiligkeit zieht, die schon der österreichische Dramatiker Arthur Schnitzler, und später der Österreichhasser sui generis Thomas Bernhard mit Genuss und geballter Verachtung thematisierten. 2006 dann portraitiert Albert in ihrem Ensemblefilm "Fallen" in einer eng angelegten Charakterstudie die divergierenden Psychologien von fünf unterschiedlichen Frauen, die zwecks einer Beerdigung zusammenkommen. Die Filmheroinnen Birgit Minichmayr, Nina Proll und Ursula Strauß überbieten sich hier als jeweils exzellent agierende Actrice.
Einerseits ist Sita eine hochengagierte junge Germanistikstudentin, ausgestattet mit einem ausgeprägten Interesse für historische Fragen, und für Fragen ihrer eigenen offenbar bislang kaum besprochenen Familiengeschichte; andererseits ist sie das junge Berliner Gör, das energiestrotzend auf der Vespa durch Berlin fährt, und das Weinen anfängt, wenn ihre Affäre sie nicht sofort zurückruft. Wenn man einen Charakter in diesen beiden Extremen dergestalt überhöht, wirkt er mitunter wie eine übersteigerte Heldenfigur, die es schafft ohne großen Mühen sich jeder Situation anzupassen und diese im Handumdrehen zu meistern. Will sagen: die junge Frau ist schlichtweg etwas zu überzeugt und überzeugend, zu selbstsicher zu willensstark. Wiederum absurd ist es, wenn die Protagonistin im Warschauer Archiv eine Frau kennenlernt, diese ihr nach zweiminütigen Gespräche anbietet bei ihr in einem besetzten Haus wohnen zu können, und wiederum fünf Minuten später die Protagonistin in erster Front gegen die Hausräumung durch die Polizeit protestiert; fünf Minuten später – natürlich völlig unbeschadet – verfolgt ihren ehrgeizigen Recherchearbeiten widmet. Neben vielen dramaturgischen Lächerlichkeiten – wie eine abgelutschte Liebesgeschichte, eine immer wieder angespielte Herzkrankheit der Protagonistin, die dann freilich von der verstorbenen Großmutter weiter vererbt wurde – verunglückt Albert leider, wie viele andere Filmemacher, dabei ein Potpourri von verschiedenen Themen in einen einzigen Film hineinpropfen zu wollen. Sie jagt dabei ihre Heldin von Berlin nach Wien, von Wien nach Warschau, von Warschau nach Stuttgart, von Stuttgart nach Berlin und dann als Katharsis gleichsam in Siebenbürgen zu landen. Ein Parforceritt, der dramaturgisch zwar unnötig ist, aber wenigstens einige Längen und ermüdende Bildwiederholungen kurzweilig zu kompensieren vermag.
Albert bauscht überdies den Film und die Handlung melodramatisch auf, wenn sie vielfach emotionalisierende Musik einspielt, um dadurch die matten Bilder und stilisierten Dialoge ein wenig aufzupeppen. Banal auch die Dichothomie, wenn sie die Generationsunterschiede von Tochter und Vater in die kontrapunktische Setzung der Musik überträgt. Zweifelsohne: Die Hauptdarstellerin ist in ihrem Spiel bemüht das brennende Engagement einer jungen Frau zu verkörpern, die auf der Suche nach Antworten ist, die sie schlussendlich nicht finden wird. Das hilft aber alles nichts. In dem von Barbara Albert entworfenen Konstrukt ist das Agieren seiner Figur eine sterile, naive, völlig fehlkomponierte Versuchsanordnung, die man trotz der eigentlichen Ernsthaftigkeit des Themas so richtig nicht ernst nehmen kann. So sehr man vielleicht möchte. Sven Weidner /
Wertung: *
(1 von 5)
Quelle der Fotos: Real Fiction Filmverleih Filmdaten Die Lebenden Österreich / Polen / Deutschland 2012 Regie & Drehbuch: Barbara Albert; Darsteller: Anna Fischer (Sita), Hanns Schuschnig (Gerhard Weiss), August Zirner (Lenzi, Sitas Vater), Itay Tiran (Jocquin), Daniela Sea (Silver), Winfried Glatzeder (Michael Weiss), Almut Zilcher (Marianne, Sitas Mutter), Wanja Mues (Gunther), Emily Cox (junge Frau), Kristina Bangert (Gerda, Lenzis Frau), Karl Alexander Seidel (Jugendlicher) u.a.; Produktion: coop99 in Koproduktion mit Alex Stern Film, Komplizen Film; Produzenten: Barbara Albert, Bruno Wagner; Kamera: Bogumil Godfrejów; Musik: Lorenz Dangel; Schnitt: Monika Willi; Länge: 111,55 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Real Fiction Filmverleih e.K.; deutscher Kinostart: 30. Mai 2013
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