2. Februar 2001
Die Vergangenheit von Gespenstern
Die innere Sicherheit
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Bei der Deutschlandpremiere
von "Die innere Sicherheit" in Köln sprach Regisseur Christian
Petzold von "cleverer Marketingstrategie": Kurz vor dem deutschen
Kinostart seines Films am 1. 2. 2001 wurden die grünen Bundesminister
Joschka Fischer und Jürgen Trittin von ihrer Vergangenheit in der
linken Szene eingeholt. Hat Fischer irgendwann einmal, vor langer, langer
Zeit, Molotow-Cocktails gegen Polizisten geworfen? Freute sich Trittin
einst über die Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback?
So titelte der SPIEGEL am 29. 1. 2001: "Das Gespenst der 70er - Die
Gegenwart der Vergangenheit".
Das ist auch der Inhalt von "Die Innere Sicherheit": Lange zurück liegen die Kämpfe gegen den Staat - aber die harmlosen bis gewalttätigen Vergehen lassen die Mitglieder der linken Szene vergangener Tage auch in der Gegenwart 20 Jahre danach kein normales Leben führen. Hans und Clara müssen immer auf der Hut sein. Abgetaucht sind sie, doch die Gefahr der Verhaftung droht ständig und überall. Ihre Tochter Jeanne hat von den Ereignissen aus der RAF-Zeit der Eltern nichts miterlebt - das war vor ihrer Zeit -, aber irgendwie hängt sie mit drin, ist mitgefangen. Eine Schule hat Jeanne nicht besucht, Gleichaltrige lernt sie nur flüchtig kennen, sie ist in eine Komplizenrolle hineingeboren und hat sich mit ihr arrangiert. Eine normale Familie zu sein, ist für die drei nicht möglich. Das wissen sie und hangeln von einer Etappe zur nächsten - der bloße Verdacht der bevorstehenden Enttarnung zwingt sie zu Ortswechseln. In "Die innere Sicherheit" geht es nicht um einen Rückblick auf Gewesenes, nicht um die Frage nach Schuld und Sühne, nicht um Glorifizierung oder Ablehnung der RAF. Der Film beinhaltet keine ideologische Stellungnahme, sondern beschreibt das Leben danach, nach Jahresfrist, aber nicht nach der Verjährung, die Verstrickung in etwas, das im Film nicht ein einziges Mal explizit genannt wird. ![]() Zu "Die innere Sicherheit" inspirierten Christian Petzold Texte des 1993 in Bad Kleinen erschossenen gesuchten RAF-Terroristen Wolfgang Grams. Songtexte, in denen Grams beschreibt, wie er ein normales Leben zu führen versuchte. "Nachrichten aus dem Untergrund, die davon erzählten, dass da irgendwelche Gespenster an ihrer Menschwerdung arbeiteten. Die hier in der Geschichte zeugten ein Kind. Sie werden Familie. Begehren das Normale. Wenn Gespenster Menschen werden möchten, dann sind sie immer Protagonisten einer Tragödie", so Petzold. Der Film hatte den Arbeitstitel "Gespenster". So lebt die Familie in einer Halbwelt, vergebens auf der Suche nach einem normalen Leben. Regie und Kamera lassen nie einen Zweifel daran, dass für die Eltern kein Entkommen mehr möglich ist. Die Eltern werden immer als ausgebrannt dargestellt, ihre chronische Nervosität ist Zwangsneurose geworden. Wie Barbara Auer und Richy Müller dezent den von Machtlosigkeit unterdrückten Groll gegen den Zustand ihrer Filmfiguren darstellen, ist hohe Schauspielkunst. Wem die Zukunft noch gehören kann, ist Jeanne, dementsprechend stellt der Film sie in den Mittelpunkt. Jeanne sucht, im Gegensatz zu ihren Eltern, noch ernsthaft nach Befreiung. Julia Hummer stellt als Jeanne sehr feinfühlig die Zweischneidigkeit ihrer Situation dar: Ihr spürt man sowohl stets den Käfig der Eltern an, der für vertrauten familiären Halt, aber auch für Beklemmung steht, als auch die Neugierde nach dem Unbekannten. Ihr ist die Wahl zwischen weiterem Dasein als "Gespenst" oder als Mensch mit Neuanfang noch gegeben...
Michael Dlugosch
/ Wertung:
* * * *
(4 von 5)
Filmdaten Die innere Sicherheit Titel für den englischsprachigen Markt: The State I Am In Deutschland 2000 Regie: Christian Petzold; Drehbuch: Harun Farocki, Christian Petzold; Darsteller: Julia Hummer ("Absolute Giganten", Jeanne), Barbara Auer (Clara), Richy Müller (Hans), Bilge Bingül (Heinrich), Günther Maria Halmer (Klaus), Katharina Schüttler (Paulina), Bernd Tauber (Achim); Produzenten: Florian Koerner von Gustorf, Michael Weber; Kamera: Hans Fromm; Montage: Bettina Böhler; Casting: Simone Bär; Szenenbild: Kade Gruber; Musik: Stefan Will; Länge: 102 Minuten; deutscher Kinostart: 1. 2. 2001
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