02.02.2018
Die Grundschullehrerin
Black-Screen. Der Zuschauer hört zwei Stimmen, die das Wort â-v-e-n-t-i-u-e-r-e buchstabieren. Die erste Einstellung zeigt Florence Mautret zu zweit mit einer Schülerin an einem Tisch in ihrem Klassenzimmer sitzen. Tara, die Schülerin, hat es bis in die 4. Klasse geschafft, ohne lesen zu können, mit Auswendiglernen und Raten. Madame Mautret, anstatt sie zurückzustufen, nimmt sich die Zeit ihr jetzt das ganze Alphabet von vorne beizubringen. Das Bild verweilt lange still bei dieser Szene, bis man als Betrachter fast unruhig wird und ein wenig jene Geduld der Lehrerin aufbringen muss, um sich auf dieses langsame Tempo von Madame Mautret und Tara einzulassen. Der Film führt unmittelbar in Rhythmus und Tempo des Klassenzimmers hinein.
Die Frage, was mit dem wiederholt gewalttätigen Sacha geschehen soll, wird auch für das Kollegium zum Prüfstein, an dem Diskussionen über das Berufsethos zum Streit eskalieren, bei dem auch ein sanft-ironischer Blick auf den Pädagogensprech gerichtet wird. Idealismus, Pragmatismus und Gleichgültigkeit prallen aufeinander, inszeniert voller Freude am Spiel mit Lehrertypen und Lehrerzimmerdynamik. Florence gerät zunehmend in Zweifel über ihren Traum von der Schule als einer 'Insel der Freiheit', einem Ort, an dem sie Kindern das selbstständige und freie Denken beibringen will. Plötzlich erscheint es ihr merkwürdig all ihre Tage als einzige Erwachsene unter Kindern zu verbringen. Der Film stößt in diesen Passagen eine Reflexion darüber an, was Schule können sollte und welche Grenzen ihr in der Realität vielleicht gesetzt sind. Mehr aber als diese Reflexion steht die Faszination für diesen Ort im filmischen Mittelpunkt: für die unterschiedlichen Wege, die sich dort kreuzen, die Geschichten die dort ihren Anfang nehmen, die fast märchenhafte Abgeschlossenheit des Schulgebäudes, die untrennbar verbunden ist mit seiner Sensibilität für die gesellschaftlichen Verhältnisse und Konflikte. Auch Liebesgeschichte und Selbstfindung der Protagonistin gehören zum Repertoire des Films und flankieren souverän und konventionell erzählt seinen Kern.
Simon Probst /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: Alamode Film Filmdaten Die Grundschullehrerin (Primaire) Frankreich 2016 Regie: Hélène Angel; Darsteller: Sara Forestier (Florence Mautret), Vincent Elbaz (Mathieu), Albert Cousi (Denis Mautret), Ghillas Bendjoudi (Sacha Drouet), Guilaine Londez (Madame Duru), Hannah Brunt (Charlie), Olivia Côte (Marlène Peillard), Patrick d'Assumçao (M. Sabatier), Lucie Desclozeaux (Laure), Denis Sebbah (M. Hadjaj), Frédéric Boismoreau (Rémi), Laure Calamy (Christina Drouet) u.a.; Drehbuch: Hélène Angel, Yann Coridian; Produzentin: Hélène Cases; Kamera: Yves Angelo; Musik: Philippe Miller; Schnitt: Sylvie Lager, Christophe Pinel; Länge: 105,29 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih von Alamode Filmdistribution oHG; deutscher Kinostart: 15. Februar 2018
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