08.03.2008
Der Selbstjustiz-Trip einer Frau

Die Fremde in dir


Mit "Die Fremde in dir" betritt Neil Jordan Neuland. Sein Racheepos, das eine starke Identifikation mit der Protagonistin und damit auch eine Rechtfertigung ihrer Gewalt mit sich bringt, zeugt schauspielerisch, in seiner Verwendung von Leitmotiven, wie auch in seiner Optik von hoher Kunstfertigkeit.
Erica Bain (Jodie Foster) und ihr Verlobter David werden nachts im Park von einer Gang zusammengeschlagen. David stirbt.
Die gleiche Jodie Foster, die sich in "Angeklagt" auf das Gesetz verlassen konnte, nimmt nun in "Die Fremde in dir" als Rächerin seine Stelle ein. Dass beim Versuch, dies in einem künstlerisch gelungenen Film zu rechtfertigen, kaum etwas falsch gemacht wurde, macht die Wirkung der Botschaft nur noch fataler.

Als Ingmar Bergman 1960 "Die Jungfrauenquelle" veröffentlichte, legte er damit den Grundstein für das Genre des Rachedramas, des Revenge-Films. In seinem Film wird ein junges Mädchen von drei Männern vergewaltigt und ermordet, woraufhin ihr Vater sich an ihnen rächt. Seitdem haben sich viele Regisseure an diesem Thema versucht. Das Motiv übersteigerter Rache wurde dabei oftmals moralisch vertretbar gemacht, indem der Protagonist zum Superhelden überhöht wurde und sich so nicht vorwerfen lassen musste, er stifte den Durchschnittsbürger zur Selbstjustiz an. Die Welt eines "Batman", "Spiderman", von "The Crow" oder von "The Punisher" hatte einfach nichts mit den Erfahrungswerten ihrer Zuschauer zu tun. Auch die jüngere Vergangenheit hat mit "Kill Bill" und "Death Proof" ihre Beiträge zum comichaft überzeichneten Rachekino geleistet. Problematischer und auch stärker in der Kritik waren hingegen Rachedramen wie "The Last House On the Left" oder das in Deutschland beschlagnahmte "I Spit On Your Grave", in welchen das Publikum die Schmerzen des Opfers fast körperlich durchlebte und die Tötung der Täter deshalb als befriedigende, kathartisch wirkende Bestrafung empfand. Diese Filme wurden jedoch nie einem breiten Publikum zugänglich, da ihre Ästhetik zu wenig am Mainstream orientiert und ihre Gewaltszenen zu explizit waren.

Mit "Die Fremde in dir" betritt Neal Jordan deshalb Neuland. Sein Racheepos, das eine starke Identifikation mit der Protagonistin und damit auch eine Rechtfertigung ihrer Gewalt mit sich bringt, zeugt schauspielerisch, in seiner Verwendung von Leitmotiven, wie auch in seiner Optik von hoher Kunstfertigkeit.

Als Auge des Zuschauers dient Erica Bain, eine erfolgreiche Radiomoderatorin, die mit einem Mikrofon durch New York zieht. Die aufgenommenen Geräusche kombiniert sie mit einem Text, der ihre tiefe Liebe zu dieser Stadt zum Ausdruck bringt, zu ihrer eigenen Sendung. Als sie und ihr Verlobter David nachts im Park von einer Gang zusammengeschlagen werden und David dabei sein Leben verliert, verändert sich ihre Wahrnehmung. Zwei Szenen, David, der ihren weichen Körper zärtlich auszieht und der Arzt, der mit einer Schere die blutigen Fetzen von ihrem verkrampften Leib schneidet, illustrieren dabei ihre Metamorphose. An die Stelle von Liebe und Zuneigung tritt eine Mischung aus Härte, Machtlosigkeit und Hass. „Die Fremde in ihr“ verdrängt die lebensfrohe Protagonistin der ersten Filmminuten. In den ersten Tagen irrt sie orientierungslos und verschüchtert durch die von ihr einst so geliebte Stadt. Die Kamera bleibt dabei äußerst nah an ihrem Körper. So gelangen alle Objekte um Erica für den Zuschauer sehr plötzlich ins Blickfeld, so dass ihre unerwartete und schnelle Präsenz ein Gefühl der Paranoia hervorrufen. Der Zuschauer spürt die Ängste der Protagonistin so am eigenen Leib. Das starke, diffuse Licht und die immer wiederkehrenden schiefen Einstellungen verstärken diese Empfindung und lassen die Menschen im Kinosaal mit ihr zu einer Erkenntnis kommen: In dieser Stadt lauern tausend Bedrohungen, und niemand wird ihrer Herr. Die Polizei jedenfalls erweist sich zunächst als unfähig, Davids Mörder aufzuspüren. Erica fühlt sich von ihr nicht verstanden und wird unsensibel behandelt. Auf den Einwand, dass die Polizei auf ihrer Seite stünde erwidert sie ein wütendes "Sie sind die Guten. Nur warum fühlt es sich dann nicht so an?" Mit dem Kreuzumhänger ihres Freundes um den Hals und einer illegal erworbenen Pistole in der Hand führt das Schicksal sie von da an in Konfliktsituationen, in denen sie als Rächerin des Normalbürgers Selbstjustiz übt. Die beginnende Freundschaft mit ausgerechnet dem Polizeibeamten, der auf den unbekannten Rächer angesetzt ist, Detective Mercer (Terrence Howard), lässt sie schließlich eine Metamorphose zur edlen Beschützerin durchlaufen, bis ihr die erneute Konfrontation mit dem Verbrechen an David die Rückkehr zur Normalität verbaut.

Ericas Kleidung spiegelt in dieser Entwicklung immer ihr Innerstes wieder. Ganz zu Anfang, als sie nur unter körperlichen Qualen und aus Notwehr tötet, trägt sie ein T-Shirt mit einer Biene, dem Tier, das nur zusticht um sein Leben zu verteidigen. Später, als sie als Rächerin bewusst den Konflikt sucht, trägt sie den Adler auf der Brust und als sie versucht, die Bedrängten zu retten ohne Blut vergießen zu müssen sind auf ihrem Tank Top drei weiße Tauben zu sehen. Zusammen mit dem Kreuz sind diese ein starker Hinweis auf den Erlöser, den New York in diesem Film dringend nötig hat. Erica Bain kommt diesem Schrei nach der starken Hand, die nicht durch das Gesetz gebunden ist, nach. Selbst die Instanz der Polizei gibt ihr mit Detective Mercer Recht. Wenn nur die Grenzen des Gesetzes und der Justiz nicht wären, so erzählt er, hätte er die Welt schon längst von einem Mann erlösen können, der eine Gefahr für die Gesellschaft und seine Stieftochter darstelle.

Wie Brandon Lee in "The Crow" den Verlobungsring seiner ermordeten Freundin um den Hals trägt, so ist auch Davids Kreuzanhänger Erica eine ständige Erinnerung an den Grund ihrer Rache. Im Gegensatz zu dem von Lee verkörperten Eric Draven geht ihre Vergeltung aber weit über den Kreis der Gang, die David tötete, hinaus. Der Regisseur spricht gar von einer Art "Alice im Wunderland"-Welt, die sie ohne den Kauf der Pistole nie gefunden hätte. Die Faszination, sich in Sicherheit zu bewegen, und die, die diese Sicherheit bedrohen, töten zu können also? Die Verherrlichung von Selbstjustiz angesichts der Unfähigkeit einer an das Gesetz gebundenen Polizei? Dies scheint die Aussage von "Die Fremde in dir", der ein so ergreifendes Plädoyer für die Umgehung der gesetzlichen Instanzen abgibt, dass man sich wünscht, er wäre schlechter geworden.

Die letzte Einstellung von "Angeklagt" zeigte das Gesetz als Helden des Films. Das Gerichtsgebäude, Symbol für die erfolgreiche Justiz, die die Vergewaltiger bezwungen hatte, versinnbildlichte noch einmal die Botschaft der vielleicht etwas zu gutgläubigen Geschichte. Die letzte Szene in "Die Fremde in dir" hingegen zeigt Heldin Erica Bain nachts erhobenen Hauptes auf dem Weg durch den Park, der ihren Verlobten das Leben kostete. Es gebe für sie kein Zurück mehr, so erklärt das Voiceover. Mit dieser Legitimation ihrer Selbstjustiz hat sie Spidermans "Aus großer Macht folgt große Verantwortung" ins Reich der Realität überführt. Einiges scheint sich verändert zu haben, und die gleiche Jodie Foster, die sich in "Angeklagt" auf das Gesetz verlassen konnte, nimmt nun in "Die Fremde in dir" als Rächerin seine Stelle ein. Dass beim Versuch, dies in einem künstlerisch gelungenen Film zu rechtfertigen, kaum etwas falsch gemacht wurde, macht die Wirkung der Botschaft nur noch fataler. Eine dilettantische Produktion mag sich nicht durch ihre Botschaft retten können. "Die Fremde in dir" zeigt jedoch eindrucksvoll, wie sich ein ansonsten gelungener Film allein mit seiner fraglichen These selbst ins Abseits befördert.  

Niclas Heckner / Wertung: * * (2 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Die Fremde in dir (The Brave One) 
 
USA / Australien 2007
Regie: Neil Jordan;
Darsteller: Jodie Foster (Erica Bain), Terrence Howard (Detective Mercer), Mary Steenburgen (Carol), Naveen Andrews (Dr. David Kirmani), Jane Adams (Nicole), Ene Oloja (Josai), Luis Da Silva Jr. (Lee), Zoe Kravitz (Chloe) u.a.; Drehbuch: Cynthia Mort, Roderick Taylor, Bruce A. Taylor; Produktion: Susan Downey, Joel Silver; Co-Produktion: David Gambino; Ausführende Produzenten: Bruce Berman, Jodie Foster, Herbert W. Gains, Dana Goldberg; Kamera: Philippe Rousselot; Musik: Dario Marianelli; Länge: 119 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; deutscher Kinostart: 27. September 2007



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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