05.08.2010
Familienbande

Die Beschissenheit der Dinge


"Die Beschissenheit der Dinge" ist eine Tragikomödie des belgischen Regisseurs Felix van Groeningen. Das Werk ist eine Adaption des autobiographischen Romans "De helaasheid der dingen" von Dimitri Verhulst.

Die Beschissenheit der Dinge Der dreizehnjährige Gunther Strobbe wächst in einem kleinen Provinznest im Belgien der 1980er Jahre auf. Dort lebt er gemeinsam mit seinem alkoholkranken Vater und dessen drei ebenfalls nichtsnutzigen Brüdern bei seiner liebenswerten Großmutter. Zu seiner Mutter hat Gunther keinen Kontakt. Während die Großmutter sich für die Familie aufopfert und als einzige etwas Wärme und Ordnung in das heruntergekommene Heim bringt, haben die vier erwachsenen Männer ihr Leben nicht im Griff. Das Leben der Strobbes ist gekennzeichnet durch Arbeitslosigkeit, Geldprobleme, Alkohol, Prügeleien in der Dorfkneipe und dem Bemühen die Dorfschönheiten ins Bett zu bekommen. Die Strobbes sind Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens des kleinen Dorfes: So sind sie etwa bei Anlässen wie dem legendären Nacktfahrradrennen und dem Bier-Saufkontest immer an vorderster Front dabei.

Die Strobbes führen ein zwangloses Leben ohne jeglichen Weitblick, was wenig verwundert, sind doch Weitsicht und Vorausschau eher bürgerliche Tugenden. Die Strobbes leben unter asozialen Bedingungen einfach in den Tag hinein, ohne wirklichen Glauben an die Wirkung der eigenen Handlungen. So sehen die Strobbes beispielsweise ihr Leben weniger durch ihr eigenes Engagement bestimmt, als vielmehr abhängig von Glück und Pech des von ihnen verehrten amerikanischen Sängers Roy Orbison. Dieser ist für die Strobbes eine Art prophezeiendes Orakel: Die Strobbes sind der festen Überzeugung ihr Leben verlaufe parallel zu dem von Roy Orbison. Hat Roy Orbison ein Tief, müssen sich auch die Strobbes auf schwierige Zeiten einstellen, geht es Roy Orbison wieder gut, können auch die Strobbes wieder mit einer Phase unerklärlichen Glücks rechnen.

Die Beschissenheit der Dinge Auch Gewalt und affektgeleiteter Umgang miteinander sind innerhalb der Familie ein stets vorhandenes Thema. Doch auch ein unglaublicher familiärer Zusammenhalt und eine prollige Zärtlichkeit untereinander zeichnen die Strobbes aus. Gunther wächst inmitten dieses versifften und brachialen Umfelds auf. In der Schule ist er ein Außenseiter, kommt häufig zu spät und muss des öfteren nachsitzen. Freunde hat Gunther bloß einen, und selbst dieser wendet sich im Laufe des Films von ihm ab, da sein Vater ihm verboten hat, mit Gunther weiterhin zu spielen. Die Strobbes seien kein guter Umgang, meint dieser.

Es scheint so, als gäbe es nur wenig Chancen für Gunther diesem asozialen Umfeld zu entfliehen und einen alternativen Lebensweg als den seines Vaters und dessen Brüder zu wählen. Hierbei macht dieses Sozialdrama auf einen gesellschaftlich wichtigen Punkt aufmerksam: die Reproduzierbarkeit von Milieus und Armut sowie die Macht der familiären Sozialisation. Dennoch gelingt es Gunther, nachdem auch das Jugendamt auf die schwierigen Verhältnisse innerhalb der Strobbe-Familie aufmerksam wird, seinem familiären Umfeld den Rücken zu kehren und findet Zuflucht in einem Internat.

Die Beschissenheit der Dinge Ein in die Handlung eingebauter zweiter Erzählstrang zeigt den erwachsenen Gunther. Dieser versucht sich als Schriftsteller über Wasser zu halten, schafft dies jedoch eher schlecht als recht. Gunther versucht aus der Not seiner verkorksten Kindheit eine Tugend zu machen und will seine schwierigen Erlebnisse innerhalb seiner Familie in einem Roman aufarbeiten. Auch als erwachsener Mann hat Gunther noch mit den Erfahrungen seiner schwierigen Kindheit zu kämpfen und begeht die gleichen "Fehler" wie sein Vater, etwa indem er seine Freundin ungewollt schwängert und nun versucht diese zu einer Abtreibung zu drängen, was für diese jedoch nicht in Frage kommt. So muss sich Gunther nun mit dem Gedanken an eine ungewollte Vaterschaft arrangieren.

Felix van Groeningens "Die Beschissenheit der Dinge" ist eine wunderbare Milieustudie und gibt einen wirklich interessanten und aufschlussreichen Blick auf das Leben und den Habitus der sogenannten Unterschicht. All dies ist auf gewisse Weise schockierend und verstörend, doch es ist nie nur pessimistisch und deprimierend. Felix van Groeningen schafft es, all dies wertfrei zu inszenieren, ohne das von ihm beschriebene Milieu der Lächerlichkeit preiszugeben. Der Film weist nicht bloß auf das Asoziale und Entmutigende hin, sondern versucht ebenfalls den Reiz und den Charme dieses Milieus einzufangen. So führen die Strobbes etwa einen vollkommen alternativen Lebensentwurf zu den bürgerlichen Vorstellungen eines "richtigen" und "guten" Lebens. Das Leben der Strobbes ist, neben all den schlimmen Umständen, ein sehr zwangloses Leben. Es gibt weder Regeln, an die man sich halten muss, noch gibt es einen festen Zeitplan oder Zwänge, nach denen man sein Leben gestalten muss. Felix van Groeningen schafft es, geschickt mit komödiantischen Elementen und dem Drama eines verkorksten Lebens zu jonglieren.  

Katharina Prohaska / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Camino Filmverleih / offizielle Film-Homepage

 
Filmdaten 
 
Die Beschissenheit der Dinge (De helaasheid der dingen) 
 
Belgien 2009
Titel für den englischsprachigen Markt: The Misfortunates
Regie: Felix van Groeningen;
Darsteller: Kenneth Vanbaeden (13 Jahre alter Gunther Strobbe), Valentijn Dhaenens (erwachsener Gunther Strobbe), Koen De Graeve (Marcel 'Celle' Strobbe), Wouter Hendrickx (Lowie 'Petrol' Strobbe), Johan Heldenbergh (Pieter 'Breejen' Strobbe), Bert Haelvoet (Koen Strobbe), Gilda De Bal (Meetje Strobbe), Natali Broods (Tante Rosie), Pauline Grossen (Nichte Sylvie), Sofie Palmers (Gunthers Freundin), Guy Dermul (Schuldirektor), Jos Geens (André) u.a.; Drehbuch: Christophe Dirickx, Felix Van Groeningen nach dem Roman von Dimitri Verhulst; Produktion: Dirk Impens; Co-Produktion: Jeroen Beker, Frans van Gestel; Kamera: Ruben Impens; Musik: Jef Neve; Länge: 108 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Camino; deutscher Kinostart: 20. Mai 2010



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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