05.11.2012
Flussfahrt mit Huck

Die Abenteuer des Huck Finn


Die Abenteuer des Huck Finn: Leon Seidel als Huckleberry Finn "Als Gott die Südstaaten der USA schuf, gab er sich besonders viel Mühe", verkündet eine würdige Erzähler-Stimme zu Beginn von Hermine Huntgeburths cineastischem Versuch, "Die Abenteuer des Huck Finn" zu erzählen. Leider schuf Gott nicht die fast aller sozialkritischer und satirischer Motive und somit ihrer Gewitztheit und Spannung beraubten Romanverfilmung. Die gibt sich kaum Mühe mit der Treue zu Mark Twains Romanvorlage. Den moralischen Konflikt des Titelcharakters (Leon Seidel) ersetzt der Drehbuchautor durch die Sklavenjäger Packard (Henry Hübchen), Turner (Milan Peschel) und Bill (Andreas Schmidt). Das Textbuchschurken-Trio ist nicht die einzige Hinzudichtung, die Twains funkelnde Ideen ersetzt und seinen zeitlosen Klassiker zu beliebiger Familienunterhaltung bereinigt.

Der Schatz von Indianer Joe habe ihm kein Glück gebracht, klagt Huck zu Filmbeginn noch bevor er überhaupt losgezogen ist in ein neues Abenteuer. Das erlebt der gerissene Herumtreiber anders als in Huntgeburths für den Deutschen Filmpreis nominierten Twain-Verfilmung von 2011 statt mit seinem besten Freund Tom Sawyer (Louis Hofmann) mit dem Sklaven Jim (Jacky Ido). Der flüchtet aus dem Haushalt der gutmütigen Witwe Douglas (Margit Bendkat) und deren herrischer Schwester Miss Watson (Rosa Enskat) in die Freiheit; genau wie der junge Master Huck. Während Jim zu seiner Familie flieht, nimmt Huck vor der seinen in Gestalt seines brutalen Vaters (August Diehl) Reißaus. Doch auf der gemeinsamen Floßfahrt hinunter den Mississippi fort von der Sklaverei werden die beiden zu Freunden – und Opfern der skurrilen Bauernfänger König (Michael Gwisdek) und Herzog (Kurt Krömer). Von Tom Sawyer sieht man dafür noch weniger als von Tante Polly (Heike Makatsch). Auf erzieherische Erbauung legt Drehbuchautor Sascha Arango allerdings solchen Wert, dass er der idealen Mittlerin nie das Wort verbieten würde.

Die Abenteuer des Huck Finn: Andreas Schmidt, Milan Peschel und Henry Hübchen als Sklavenjäger Letztes geschieht in dem durch Gegenwartsvokabular wie "Arschbombe" und "cool" die Handlungszeitebene störende Kinderfilm nur einem: Mark Twain. Über den Humoristen und Autor versammelt das Pressematerial neben ein paar biografischen Kuriosa reichlich weihevolle Worte. Die biografischen Fußnoten stammen augenscheinlich von Wikipedia, die Anerkennungsworte von anderen Literaten. Einen Gegendienst fordern die Filmemacher für ihre Lobeshymnen dennoch und beschwören dazu kurzerhand Twains Geist. Keine Angst, dafür braucht es wie bei einer ähnlichen Szene in "Tom Sawyer" weder tote Tiere noch nächtliche Friedhöfe. Alle Eltern, die Huntgeburths mutige Werktreue im Vorgängerfilm schwer traumatisierte und die weinend von ihren Kindern getröstet werden mussten, dürfen also erleichtert aufatmen und die Mark-Twain-Leser, die den Authentizitätsanspruch lobten, müssen ernüchtert aufseufzen.

Die Abenteuer des Huck Finn: Christian Steyer als Mark Twain, Leon Seidel als Huckleberry Finn Arango, der nach dem Drehbuch zu "Tom Sawyer" seine zweite Kinoarbeit vorlegt, liefert ein Paradebeispiel für ein Phänomen, das man Konsens-Kino nennen könnte. Nach Elternbeschwerden über angeblich zu gruselige Szenen in der "Tom Sawyer"-Verfilmung gleicht der Kinonachfolger einer pflichteifrigen Anbiederung an ein denkfaules Publikum, das Bigotterie über Realismus stellt. Twain erscheint nun nicht mehr in der stimmigen Umsetzung seiner Vorlage in abwechselnd witzigen, schaurigen und nachdenklichen Szenen, sondern leibhaftig auf der Bildfläche beziehungsweise Leinwand. Offensichtlich kurz nach der Aufnahme des wohl bekanntesten Porträtfotos, dem er entstiegen scheint, unternimmt Twain (Christian Steyer) am Plot einen mittelschweren Eingriff. Der ist chirurgischer Natur und lenkt ihn zurück in Richtung des ursprünglichen Romanendes. Bevor das den Zuschauer erlöst, lauscht Twain Huckleberrys Erlebnisbericht und segnet ihn ab: "Das war wirklich eine abenteuerliche Geschichte, die ich mir nicht hätte besser ausdenken können."

Durch derartige Selbstbeweihräucherung erklären sich "Die Abenteuer des Huck Finn" nicht nur als ebenbürtig, sondern überlegen gegenüber der Romanvorlage. Sie beschrieb Twain als "Buch, worin ein rechtschaffenes Herz und verformtes Gewissen aneinandergeraten und das Gewissen verliert." Bei Huntgeburths beflissener Adaption ist es umgekehrt.  

Lida Bach / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Majestic / Tom Trambow

 
Filmdaten 
 
Die Abenteuer des Huck Finn  
 
Deutschland 2012
Regie: Hermine Huntgeburth;
Darsteller: Leon Seidel (Huck), Louis Hofmann (Tom), Jacky Ido (Sklave Jim), August Diehl (alter Finn), Henry Hübchen (Sklavenjäger Packard), Milan Peschel (Sklavenjäger Turner), Andreas Schmidt (Sklavenjäger Bill), Michael Gwisdek (König), Kurt Krömer (Herzog), Rosalie Thomass (Judith Loftus), Peter Lohmeyer (Richter Thatcher), Hinnerk Schönemann (Sheriff), Margit Bendokat (Witwe Douglas), Rosa Enskat (Miss Watson), Mathias Herrmann (Auktionator), Christian Steyer (Mark Twain) und als Gast Heike Makatsch (Tante Polly) u.a.;
Drehbuch: Sascha Arango nach dem Roman von Mark Twain; Produktion: Neue Schönhauser Filmproduktion; Produzent: Boris Schönfelder; Kamera: Sebastian Edschmid; Musik: Niki Reiser; Schnitt: Eva Schnare;

Länge: 101,55 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih der Majestic Filmverleih GmbH; deutscher Kinostart: 20. Dezember 2012



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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