21.02.2016
Ein Film der Berlinale 2016, Sektion Classics

Der müde Tod


Mit Fritz Langs phantastischem Kinostück gelangt ein lange verkannter Klassiker der Stummfilmzeit dank der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung wieder ans Licht der Leinwand. Gleich einem düsteren Märchen entfaltete sich die 1921 uraufgeführte Geschichte, die in drei Episoden die beiden zentralen Motive der Romantik, Liebe und Tod, miteinander ringen lässt.

Der müde TodDie Rahmenhandlung beginnt in einem Gasthaus, wo eine junge Frau (gespielt von der aus "Das Kabinett des Dr. Caligari" bekannten Lil Dagover) und ihr Liebster (Walter Janssen) auf einen unheimlichen Fremden (Bernhard Goetzke) treffen. Die hagere Gestalt gesellt sich als ungeladener Gast zu ihnen und entführt, als die Frau einen Moment nicht Acht gibt, ihren Geliebten. Verstört begibt sie sich auf die Suche, die sie an die unsichtbare Grenze zwischen dem Diesseits und dem Totenreich führt. Doch ihre Zeit ist noch nicht gekommen, gebietet der Tod, der ihr den Weg versperrt. Der spukhafte Anblick lässt sie das Bewusstsein verlieren. So findet sie ein Apotheker (Karl Platen) und bringt sie in sein Heim. Dort fällt ihr ein Elixier in die Hände, mit dem sie ihr Leben beenden will. Als der Tod sie wiederum vor sich sieht, zeigt er Mitleid, denn auch er ist seines ewigen Handwerks müde. Dieses Aufeinandertreffen von Lebensmüdigkeit und Todesmüdigkeit ist mehr als nur ein drolliges Gedankenspiel von Lang. Wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg war der Tod in erschütternder, massenhafter Form dem Publikum tief im Bewusstsein. Die Sehnsucht nach den verlorenen Menschen und der Wunsch, deren ungerecht erscheinendes Schicksal umzukehren waren Motive mit starkem Identifikationspotential. Sogar der Tod selbst zeigt sich trotz seiner stoischen Erscheinung berührt vom Trauma des Krieges und erlaubt der jungen Frau, den Liebsten wieder mitzunehmen.

Der müde Tod Zum Ausgleich jedoch muss sie dem Tod ein anderes Leben liefern. Von diesem melancholischen Rahmen heben sich die einzelnen Episoden, in denen die Frau die Aufgabe zu erfüllen versucht, durch Lebhaftigkeit, exotische Settings und für damalige Verhältnisse aufwendige Tricktechnik ab. In opulenten Märchenversionen von Persien, dem alten China und dem Venedig der Renaissance versucht die Heldin vergebens, ein opferwilliges Leben zu finden. Niemand will auf eine Minute verzichten; selbst der Regisseur nicht. Die Kapitel sind in Dauer und Tempo so unterschiedlich, was den Fluss der Erzählung stört. Lang spielt mit Elementen aus Abenteuerfilm und Komödie und übertreibt es damit bisweilen, fast als habe er die ernste Ausgangssituation vergessen oder wolle sie das Publikum vergessen machen. Durch die actionreiche Theatralik wirken die drei Rettungsversuche nicht annähernd so atmosphärisch wie die Rahmenhandlung. Der eindringlichste Charakter in dem Figurenspiel bleibt der Titelcharakter. Auch die junge Frau entgeht seiner unnachgiebigen Präsenz nicht. Der Ausweg, den sie schließlich findet, um doch mit ihrem Mann vereint zu sein, ist vorhersehbar. Doch die historische Realität der allgegenwärtigen Trauer verleiht dem nachdenklichen Ende eine eigene Kraft.

Nach der Uraufführung fand "Der müde Tod" nur wenig positive Stimmen und auch der Publikumserfolg blieb aus. Erst Jahrzehnte später beriefen sich Filmemacher wie Hitchcock und Luis Buñuel auf Langs Film als entscheidende Inspiration. Die von Anke Wilkening restaurierte, mit einer eigens komponierten neuen Musik versehene Fassung in der Reihe der Berlinale Classics ist eine wunderbare Chance, den Klassiker auf der großen Leinwand zu sehen.  

Lida Bach / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden

 
Filmdaten 
 
Der müde Tod  
 
Deutschland 1921
Regie: Fritz Lang;
Darsteller: Bernhard Goetzke, Lil Dagover, Walter Janssen, Max Adalbert, Wilhelm Diegelmann, Hans Sternberg, Carl Rückert u.a.;
Drehbuch: Thea von Harbou, Fritz Lang; Produzent: Erich Pommer; Kamera: Fritz Arno Wagner, Erich Nitzschmann, Hermann Saalfrank; Schnitt: Fritz Lang;

Länge: 98 Minuten; deutscher Kinostart: Oktober 1921



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Der Film im Katalog der Berlinale
<21.02.2016>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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