17.05.2013
Liebe und Tod auf Long Island

Der große Gatsby (2013)


Der große Gatsby (2013): Carey Mulligan, Leonardo DiCaprio Es wäre vermessen, von einem Regisseur, der Shakespeares "Romeo und Julia" zu einer Teenie-Soap-Opera verkrüppelte, Achtung vor einem Meisterwerk der amerikanischen Literatur zu erwarten. Und dennoch ist man unweigerlich angewidert vom schieren Ausmaß an Vulgarität, mit der Baz Luhrmann "Der große Gatsby" zu einem dreidimensionalen Ungetüm voll heißer Luft aufbläst. Die Abscheu teilt der junge Nick Carraway: "Als ich aus New York zurückkam war ich voller Ekel", seufzt der Erzähler, dem man keine einzige Emotion abkauft. Der sichtlich zu alte Tobey Maguire chargiert zwischen Wehleid und sturer Naivität, während seine Off-Stimme dem Publikum aus den tragischen Illusionen des unglückseligen Titelcharakters (Leonardo DiCaprio) sein eigenes Eskapismus-Märchen strickt.

Es handelt nicht von Elitehierarchie, Materialismus oder falschen Idealen oder irgendeinem anderen der Romanmotive F. Scott Fitzgeralds. Es handelt von anachronistischen Pop-Songs, pompösen Montagen und einer endlosen rauschenden Party. Nichts anderes ist die seichte Verfilmung eines profunden Klassikers, denn wenn es das Seelenlose und Prätentiöse, das die Vorlage demaskiert, zu idealisieren gilt, ist Luhrmann als Schöpfer epischen Kitsches wie "Moulin Rouge" und "Australia" in seinem Element. Im aus Werbeplaketten, Wolkenkratzer-Kulissen und Wall Street bestehenden New York werden feiernde Schwarze von weißen Fahrern chauffiert, führt jeder Friseurladen in einen illegalen Jazz-Keller und fließt der Alkohol in Strömen. Champagnerflaschen und Stimmung sind ständig am Überschäumen. In bizarrem Einklang mit der Verblendung, der sich die Figuren hingeben, prostet "Der große Gatsby" sich beständig selbst zu. Erst knallen die Korken und am Ende ein Schuss. Doch die Katerstimmung, die bei Fitzgerald dem leeren Exzess folgt, bleibt aus; es sei denn, man zählt die Katerstimmung nach dem Anschauen der 3D-Travestie. Stattdessen degradiert eine aberwitzige Rahmenhandlung das bittere Resümee zu einer kommerziellen Floskel.

Der große Gatsby (2013): Carey Mulligan, Leonardo DiCaprio Die Kaltblütigkeit, Maßlosigkeit und feige Petitesse der schillernden New Yorker Oberschicht werden von der Adaption zu tragischen Tugenden verklärt. "Der große Gatsby" des Romans ist sich der Endlichkeit der bis zum Überdruss ausgekosteten Genüsse und deren schalen Nachgeschmacks schmerzlich bewusst. "All die strahlenden, kostbaren Dinge verblassen so rasch und sie kommen nicht zurück", sagt Daisy (Carey Mulligan). "Der große Gatsby" der Leinwand ist sich nichts bewusst. Nicht der Albernheit, Phantasielosigkeit oder Redundanz seiner Ausschweifungen und Auswälzungen. Fitzgeralds Prosa ist bloß noch Takelage für Federfächer, Pailletten-Kleider und patentgefaltete Hemden ("So wunderschöne Hemden!", schluchzt Daisy), seine nüchterne Poesie zerfasern Weichzeichner, steife 3D-Effekte und zahllose Überblendungen. Wie Daisy den rüden Tom Buchanan (Joel Edgerton) aus Konvention und Prestigesucht geheiratet hat und nun unter totem Luxus lebendig begraben liegt, erstickt das ordinäre Ausstattungsspektakel an der eigenen Geltungssucht. Egomanischer ist nicht einmal Jay Gatsby, gerüchteumrankter Millionär und Gastgeber opulenter Partys.

Der große Gatsby (2013): Tobey Maguire In seinem an Walt Disneys Version von Xanadu erinnernden Long-Island-Domizil ersehnt er "Golden Girl" Daisy als Trophäe für seinen Aufstieg und glorifiziert Kompensationszwang als romantisches Ideal. Der literarische Gatsby verkörpert den amerikanischen Traum des Selfmademan mit seinen glanzvollen Licht- und bedrückenden Schattenseiten. Sein grenzenloser Reichtum speist sich aus zwielichtigen Börsen-, Hinterzimmer- und Spirituosengeschäften. Unter falschen Freunden wird Nick der einzig aufrichtige, denn der Geldadel, dem Tom, Daisy und ihre Freundin Jordan Baker (Elizabeth Debicki) angehören, duldet Gatsby als Unterhalter, niemals aber Ihresgleichen.

Was das Original als Doppelmoral demaskiert, favorisiert die Inszenierung als guten Geschmack der von jeher oder eben jetzt Reichen und Schönen. Sie wissen sich von der durch Toms Geliebte Myrtle (Isla Fisher), den tumben Automechaniker George (Jason Clarke) und Myrtles als Ziervögel ausstaffierte Freundinnen abzuheben. Die moralische Pervertierung der Vorlage besiegelt den filmischen Triumph von Exzess über Essenz mit dem selbstverräterischen Geständnis des alles andere als großartigen Gatsby: "Die Wahrheit ist, dass ich hohl bin."  

Lida Bach  / Wertung:  * (1 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Warner Bros. Pictures Germany / oberstes Foto außerdem: Matt Hart

 
Filmdaten 
 
Der große Gatsby (2013) (The Great Gatsby (2013)) 
 
Australien / USA 2013
Regie: Baz Luhrmann;
Darsteller: Leonardo DiCaprio (Jay Gatsby), Tobey Maguire (Nick Carraway), Carey Mulligan (Daisy Buchanan), Joel Edgerton (Tom Buchanan), Isla Fisher (Myrtle Wilson), Jason Clarke (George Wilson), Elizabeth Debicki (Jordan Baker), Matthew Whittet (Vladimir Tostoff) u.a.;
Drehbuch: Baz Luhrmann, Craig Pearce nach dem Roman von F. Scott Fitzgerald; Produktion: Baz Luhrmann, Catherine Martin, Douglas Wick, Lucy Fisher, Catherine Knapman; Kamera: Simon Duggan; Musik: Craig Armstrong; Schnitt: Matt Villa, Jason Ballantine, Jonathan Redmond;

Länge: 142,01 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Warner Bros. Pictures Germany; deutscher Kinostart: 16. Mai 2013



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<17.05.2013>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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