24. August 2006
Der lange Kampf um sich selbst
Der freie Wille ![]() Auf einen Sandsack drischt er ein. Er drischt ein, bis ihm die Fäuste brennen, bis er kraftlos zu Boden sinkt. Er weiß, dass er es jetzt richtig macht: Das Opfer seiner Gewaltausübung ist ein toter Körper. Er weiß es, denn: Theos Verstand sagt es ihm. Sein Körper, triebgesteuert, verlangt nach lebendigen ihm Unterlegenen, die zu vergewaltigen sind. Der Verstand ist in diesem Zweikampf obenauf. Das war nicht immer der Fall. Und wie lange ist es noch der Fall? Theo sinkt auch deswegen kraftlos, mutlos zu Boden. Den Kampf um sich selbst kann er nicht gewinnen. Sein Verstand ist mit den Trieben alleingelassen.
In den Dünen an der Ostsee schlägt Theo in blinder Raserei eine junge Frau vom Fahrrad, vergewaltigt sie minutenlang, ohne Abwenden vom Entsetzlichen folgt die Kamera der Tat. Sie zeigt den Täter Theo aber auch im Anschluss an die Tat, wie er über sich selbst Entsetzen empfindet: Wieder hat er es getan, wieder konnte sein Bewusstsein es nicht verhindern, wieder kommt die Einsicht erst, wenn es zu spät ist - am gewählten Beispiel.
Dies ist das Hauptproblem des Films: Glasner und Vogel erzählen von einem Antihelden, der gerne kein Vergewaltiger wäre. Es ist ihnen zwar gelungen, ihn aufgrund seiner Taten nicht zu verharmlosen, nicht allzu sympathisch erscheinen zu lassen bei allem Mitempfinden vor allem des Zuschauers, Theo möge sich befreien, seinem eigenen freien Willen folgen dürfen. Mit der Wahl der um sich kämpfenden Figur lauert aber die allgemeine Gefahr der Verklärung von Vergewaltigern: Nicht jeder so wie Theo kämpft. An Florian Henckel von Donnersmarcks "Das Leben der anderen" wurde ähnlich kritisiert, ausgerechnet von einem durch ein Damaskus-Erlebnis umfallenden, zuvor prinzipientreuen Stasi-Mann zu erzählen; solch eine Figur sei nicht realistisch. Realistisch mag es sein, dass ein Mensch gegen sein eigenes Gefahrenpotenzial ankämpft; dieses Beispiel gewählt zu haben lässt die vielen weit negativeren Fälle durch Nichtdarstellung, wenngleich unabsichtlich, außer Acht.
Michael Dlugosch /
Wertung: * * * (3 von 5)
Quelle der Fotos: Kinowelt Filmdaten Der freie Wille (Deutschland 2006) Regie: Matthias Glasner; Darsteller: Jürgen Vogel (Theo Stoer), Sabine Timoteo (Nettie Engelbrecht), Manfred Zapatka (Claus Engelbrecht), André Hennicke (Sascha), Judith Engel (Anja Schattschneider), Frank Wickermann (Michael), Anna Brass (Frau in den Dünen), Anna de Carlo (Kellnerin), Anne-Kathrin Golinsky (Kaufhausverkäuferin) u.a.; Drehbuch: Matthias Glasner, Judith Angerbauer, Jürgen Vogel; Produktion: schwarzweiß filmproduktion, Colonia Media Filmproduktion / Label 131; Ko-Produktion: WDR, ARTE; Produzenten: Frank Döhmann, Matthias Glasner, Christian Granderath, Jürgen Vogel; Ko-Produzenten: Andrea Hanke, Andreas Schreitmüller; Produktion und Verleih gefördert durch: Filmstiftung NRW, FFA, Medienboard Berlin-Brandenburg; Kamera: Matthias Glasner; Länge: 163 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih von Kinowelt; Film-Homepage: http://www.derfreiewille.de
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