07.08.2025
Der Club der toten Dichter
Wir schreiben das Jahr 1959. Sehr streng geht es zu am traditionsreichen Welton-Internat in Vermont. Diese Eliteschule legt großen Wert auf ihre Leitbegriffe "Tradition, Ehre, Disziplin, Leistung", und so erleben die uniformierten Schüler eine entsprechend autoritäre Erziehung. Die Prügelstrafe gehört zum Reglement. Völlig überrascht sind die Jungen darüber, dass ihr neuer Englischlehrer John Keating ganz unkonventionelle Unterrichtsmethoden anwendet. Er ist kein erzkonservativer Knochen wie seine Kollegen. Er fordert die Schüler auf, Seiten aus einem Lyriklehrbuch zu reißen und eigene Zugänge zur Poesie zu finden. Sie sollen ihre eigenen Interpretationen finden und auch selbst Gedichte schreiben. "Carpe Diem" ist sein Motto, das auch die Schüler beherzigen sollen.
"Nutze den Tag, Jungs. Macht etwas Außergewöhnliches aus eurem Leben." Er sagt, man solle die Welt mal aus einer neuen Perspektive betrachten und z.B. auf das Pult steigen. Was auch geschieht. Und er sagt den Schülern: "Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten. Wir lesen und schreiben Gedichte nicht nur so zum Spaß. Wir lesen und schreiben Gedichte, weil wir zur Spezies Mensch zählen, und die Spezies Mensch ist von Leidenschaft erfüllt; und Medizin, Jura, Wirtschaft und Technik sind zwar durchaus edle Ziele und auch notwendig, aber Poesie, Schönheit, Romantik, Liebe sind die Freuden unseres Lebens."
Und: Indem die begeisterten Schüler den "Club der toten Dichter", dem Keating früher angehört hat, wieder aufleben lassen (man liest sich gegenseitig in einer alten Höhle Texte vor), finden sie neue Freiheit, Lebenslust und Selbstsicherheit. Tragisch endet die Geschichte des Schülers Neil Perry: Er entdeckt sein Talent zum Schauspielen und macht im Schultheater mit, was aber seinem Vater überhaupt nicht gefällt. Nach einer Aufführung – Neil spielt den Puck in Shakespeares "Sommernachtstraum" – kündigt der Vater an, seinen Sohn von der Schule abzumelden und ihn auf eine Militärakademie zu schicken – worauf Neil Selbstmord begeht. Der Vater und der Schulleiter machen Keating und seine freie Denkweise für den Selbstmord verantwortlich, der Lehrer muss die Schule verlassen. In seiner letzten Stunde stellen sich die Schüler auf die Tische und verabschieden ihn mit den Worten "Oh Captain, mein Captain!" aus einem Gedicht von Walt Whitman, sie erweisen ihm damit Respekt und zeigen, wie sehr sein Unterricht sie beeinflusst hat. Eine unglaublich rührende Szene. Sie haben gelernt, starre Regeln und Vorgaben zu missachten, Gedichte nicht zu zerpflücken, sondern zu fühlen, und selbständig zu denken. Der eher als Komödienstar bekannte Schauspieler Robin Williams hat hier die Rolle seines Lebens gefunden. Ungemein feinsinnig, charakterstark, pädagogisch überzeugend spielt er den sympathischen Lehrer. Die Schülergruppe ist auch hervorragend. Die Jungschauspieler Ethan Hawke (Todd Anderson) und Robert Sean Leonard (Neil Perry) schafften mit "Der Club der toten Dichter" den Durchbruch als Schauspieler. Der Fischer Film Almanach schrieb 1991: "Die Inszenierung lässt in Besetzung, Kamera und Ausstattung keine Wünsche offen." Regisseur Peter Weir hat ein Meisterwerk geschaffen. An seinen grandiosen Film aus dem Jahr 1989, der die Zuschauer zu Tränen gerührt und zahlreiche Preise eingeheimst hat, reicht der auf der Grundlage des Drehbuchs verfasste Roman von Nancy H. Kleinbaum (1996) nicht ganz heran. Robert Gernhardt schrieb in der ZEIT: "Der einzige mir bekannte gute Grund für eigene Söhne besteht darin, daß man sich mit ihnen den 'Club der toten Dichter' ansehen kann."
Manfred Lauffs
/ Wertung:
* * * * *
(5 von 5)
Filmdaten Der Club der toten Dichter (Dead Poets Society) USA 1989 Regie: Peter Weir; Darsteller: Robin Williams (John Keating), Robert Sean Leonard (Neil Perry), Ethan Hawke (Todd Anderson), Josh Charles (Knox Overstreet), Gale Hansen (Charlie Dalton), Norman Lloyd (Mr. Nolan, Schulleiter), Kurtwood Smith (Mr. Tom Perry), Alexandra Powers (Chris Noel), Dylan Kussman (Richard Cameron), Allelon Ruggiero (Steven Meeks), James Waterston (Gerard Pitts), Leon Pownall (Mr. McAllister, Lateinlehrer), George Martin (Dr. Hager, Mathelehrer), Melora Walters (Gloria), Welker White (Tina), Carla Belver (Mrs. Perry), Bebra Mooney (Mrs. Anderson), John Cunningham (Mr. Anderson) u.a.; Drehbuch: Tom Schulman; Produzenten: Steven Haft, Paul Junger Witt, Tony Thomas; Kamera: John Seale; Musik: Maurice Jarre; Schnitt: William M. Anderson; Länge: 128 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; westdeutscher Kinostart: 25. Januar 1990
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