30.07.2015
Viel Stimme, wenig Herz

Der Chor
– Stimmen des Herzens


Der Chor - Stimmen des Herzens: Dustin Hoffman Der unglücklich anheimelnde deutsche Titel dieses Films (Originaltitel "Boychoir") wird voraussichtlich mehr Zuschauer vom Kinobesuch abhalten als sie heranzuziehen – da helfen leider auch große Schauspielernamen wie Dustin Hofmann, Debra Winger und Kathy Bates nicht weiter. Nur die Musik, die gelungene Auswahl der Partituren, und die außergewöhnlichen Stimmen der Jungen lohnen, sich den Film anzusehen. Man kann behaupten, dass die Original-Stimmen des "American Boychoir" die Hauptrolle dieses Films spielen, der aber um den Chor herum konstruiert wirkt.

Auf seltsame Weise distanziert sind nicht nur die zwischenmenschlichen Beziehungen in diesem Film, sondern auch die des Films selbst zu seinem Publikum. Man erhält als Zuschauer nur sekundenlange Kurzaufnahmen aus der erbarmungslosen Biographie des elfjährigen Stet. Er ist aufgebracht, schlägt schnell zu, wenn er provoziert wird, seine Mutter ist Alkoholikerin. Selbst der wohlhabende Vater, der kurz aus der Versenkung auftaucht, kauft sich aus Stets Leben heraus, um so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Wenn die Schulleiterin die einzige ist, die sich je wirklich für Stets Belange interessiert, dann ist das schon ein Armutszeugnis für das Leben des Jungen. Dennoch ist das alles, was wir als Zuschauer an emotionaler Einsicht in das Innenleben des Hauptdarstellers erhalten.

Der Chor - Stimmen des Herzens: Garrett Wareing Durch Stets (übrigens sehr gut gespielt von Garrett Wareing) außergewöhnliches, von der Schulleiterin (Debra Winger) gefördertes Singtalent kommt er in den Genuss einer teuren Privatschule, die den nationalen Knabenchor auf hohem professionellen Niveau ausbildet. Auch dort erhalten wir als Zuschauer keine Information über Stets durchaus vorstellbare innere Einsamkeit, sein persönlichen Beziehungen oder Neigungen. Es wird – zugegeben sehr schön, fast engelsgleich himmlisch – gesungen, es wird eifrig und hochmotoviert studiert, Stets Aggressionen werden wegen seiner Gabe geduldet, es gibt Wettstreits zwischen den ambitionierten Jungen und der abweisende Chorleiter Carvelle (Dustin Hofmann) erträgt ihn auch nur wegen des Talents. Aber warum wir diesen Film sehen sollen, weiß man immer noch nicht. Stets Aggression muss geheilt werden, sonst ergäbe der Film gar keinen Sinn – aber als Botschaft ist das doch sehr mager. Und die Musik alleine kann es auch nicht sein. In einer kurzen Szene erfahren wir, dass Zuschauer voneinander getrennt sind und nichts gemeinsam haben – die Musik sie aber für kurze Augenblicke eins werden lassen kann. Mehr an Erkenntnis kann man diesem Film beim besten Willen nicht abgewinnen.

Viele Fragen tun sich auf, die unbeantwortet bleiben: warum ein Junge, der kurz vor dem Stimmbruch steht, in eine Schule aufgenommen wird, die endlose Wartelisten mit weit geeigneteren Kandidaten hat? Wie ein von den wichtigsten Bezugspersonen im Stich gelassener Junge mit so wenig Zuwendung zurecht kommt? Wie er es – vor allem ganz alleine – schafft, die innere Rebellion zu überwinden und sich plötzlich selbst motiviert, große Opfer bringt, und ein zahmer Schüler wird wie alle anderen?

Man kann behaupten, dass die Stimmen des American Boychoir die Hauptrolle des Films spielen. Neben Stücken wie das widerhallende japanische Kinderlied "Hotaru Koi" oder das "Adiemus" sind es vor allem kirchliche Stücke wie "Pie Jesu Domine" und andere Stücke von Benjamin Britten, sowie Händels "Messias", die zweifellos meisterhaft und beeindruckend dargeboten werden. Man darf staunen, dass das "hohe D" erreicht wird. Aber der Film wirkt um den Chor herum konstruiert.  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos: SquareOne / Universum Film

 
Filmdaten 
 
Der Chor - Stimmen des Herzens (Boychoir) 
 
USA 2014
Regie: François Girard;
Darsteller: Dustin Hoffman (Carvelle), Kathy Bates (Schulleiterin), Eddie Izzard (Drake), Josh Lucas (Gerard), Debra Winger (Ms. Steel), Kevin McHale (Wooly), Garrett Wareing (Stet) u.a.;
Drehbuch: Ben Ripley; Produzenten: Judy Cairo, Carol Baum, Jane Goldenring; Kamera: David Franco; Musik: Brian Byrne; Schnitt: Gaétan Huot;

Länge: 103,51 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih der SquareOne Entertainment GmbH und der Universum Film GmbH; deutscher Kinostart: 27. August 2015



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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