26.11.2023

Sie will nur spielen...

Der Biss der Schlangenfrau

Der Regisseur Ken Russell (1927 – 2011) hat den unterschiedlichsten Genres Filme beigesteuert. Sein erster abendfüllender Spielfilm war "Das Milliarden-Dollar-Gehirn" (1967) mit Michael Caine, ein Action-Kommerz-Produkt. Besondere Bedeutung erfuhren seine Musikfilme ("Tommy" nach der Rockoper von "The Who", 1974), darunter speziell Komponisten-Porträts ("Tschaikowsky – Genie und Wahnsinn" 1970, "Mahler" 1974 und "Lisztomania" 1975). In "Die Hure" (1991) sprach die Filmtitel-gebende Prostituierte direkt das Filmpublikum an, um aus ihrem Leben zu erzählen. Russell konnte auch anders: Er drehte "Gothic" (1986). In ihm erleben die Dichter Lord Byron, Mary Shelley und andere Gäste Byrons eine Nacht des Grauens. Der Film funktioniert wie ein großer Alptraum. Und er zeigte, dass Regisseur Russell in exzentrischer Weise Filme dreht. Dem steht "Der Biss der Schlangenfrau" 1988 in Nichts nach. Wieder begibt sich Russell ins Gruselgenre, diesmal indem er Billig-Horrorfilmen seine Reverenz erweist. Die ahmt er mit einer Portion Intellekt nach. "Der Biss..." ist kein Meisterwerk, aber er hat Spirit, und Amanda Donohoe als Titel-Antiheldin überzeugt.

Man kann davon ausgehen, dass sich Ken Russell für die Filme der Produktionsfirma "Hammer Films" begeistert hat. Vor allem von den 1930er- bis 1980er-Jahren entstanden die so genannten Hammer-Filme. Es ging unter anderen in die Bereiche Gruselfilm, Thriller, Science Fiction. Die Hammer-Gruselfilme drehte man geplantermaßen angelehnt an die Gothic-Romane britischer Provenienz. Nach dem Prinzip verfährt Russell beim Dreh von "Der Biss...", er verfilmte frei einen Roman von "Dracula"-Autor Bram Stoker ("Das Schloss der Schlange", im Original "The Lair of the White Worm", 1911 und damit ein Jahr vor Stokers Tod entstanden).

Russell verlegt als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in Personalunion die Handlung in die Gegenwart Großbritanniens auf dem Lande. Ein junger Archäologe, Angus Flint ("Doctor Who"-Darsteller Peter Capaldi) entdeckt in der ersten Szene des Films bei Ausgrabungen den skelettierten Kopf einer Riesenschlange. Er und die beiden Schwestern Trent (Sammi Davis, Catherine Oxenberg), denen das Gelände gehört, messen dem keine besondere Bedeutung bei. Die Drei gehen abends auf eine Party, auf der Flint den jungen Adligen Lord James D'Ampton (Hugh Grant) kennenlernt. Von ihm erfährt Flint, dass D'Amptons Vorfahr eine Riesenschlange besiegt hatte. Um den Kampf geht es auf der Party auch in einem stimmungsvollen Folk Song. Kurz darauf taucht auf der Bildfläche Lady Sylvia Marsh auf. Amanda Donohoe spielt sie und hebt mit ihrer schauspielerischen Leistung (der einzig wirklich guten des Films) die Qualität von "Der Biss...". Und sie fügt dem Film eine gehörige Portion Erotik hinzu, hautfarben und später mit blauem Bodypainting – denn sie ist die titelgebende Schlangenfrau, erfährt der Zuschauer bald. Sie klaut den skelettierten Kopf und verspritzt ihr eigenes Schlangengift auf ein Kruzifix. Später entführt sie eine der beiden Schwestern, Eve, um sie einem Schlangengott zu opfern. Der Showdown – die andere Schwester Mary, Flint und D'Ampton versuchen, sie zu retten – ist gut in Szene gesetzt samt bösem Schlussakkord.

Bis zu diesem Showdown gibt es allerdings viel Leerlauf, was den Film herunterreißt, wie die schlechten Darstellerleistungen. Russell hat die Schauspieler absichtlich nicht gut geführt als Reminiszenz an die Hammer-Filme oder die Filme von Ed Wood etc. Das eigentlich Ärgerliche: Der Film ist als großer Spaß Russells angelegt. Dafür nimmt er sich aber manchmal zu bierernst. Man kann den Film mögen, aber ihm etwas abgewinnen kann man nicht. Die schlechte deutsche Synchronisation lässt die Schwestern Trent zudem mit nahezu kieksender Stimme sprechen.

Bemerkenswert ist der deutsche Verleihtitel: "Biss" wird mit Doppel-"s" geschrieben. Zu der Zeit (1989 war der westdeutsche Kinostart) wäre ein "ß" richtig. Es war wohl eine Anspielung auf die SS wie bei der Musikband Kiss, auf jeden Fall aber eine Anspielung auf das Schlangenzischen, und gibt so dem Titel eine gewisse Schärfe.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * (2 von 5)



Filmdaten

Der Biss der Schlangenfrau
(The Lair of the White Worm)

GB 1988
Regie: Ken Russell;
Darsteller: Amanda Donohoe (Lady Sylvia Marsh), Hugh Grant (Lord James D'Ampton), Catherine Oxenberg (Eve Trent), Peter Capaldi (Angus Flint), Sammi Davis (Mary Trent), Stratford Johns (Peters), Paul Brooke (P.C. Erny), Imogen Claire (Dorothy Trent), Chris Pitt (Kevin) u.a.;
Drehbuch: Ken Russell nach dem Roman von Bram Stoker; Produzent: Ken Russell; Kamera: Dick Bush; Musik: Stanislas Syrewicz; Schnitt: Peter Davies;

Länge: 93 Minuten; FSK: ab 18 Jahren; westdeutscher Kinostart: 31. August 1989



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Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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